Von der lückenhaften Leichtigkeit des Schreiens
Eine gedankenanregende Anekdote über die Ungewissheit, was nach meinem EVS mit mir passieren wird
Nix passiert. Draußen schneit es und ich klebe mit einer Tasse Tee am Fenster und schau zu, wie das Stockholmer Umland sich in lückenhaftes Weiß kleidet. Neben mir schläft der Hund auf dem Teppich.
Später skypte ich mit einer alten Freundin, noch aus Hamburger Schulzeiten, die jetzt in Berlin wohnt und ihren Job geschmissen hat, weil ihr Arbeitskollege, der wie unser früherer Kassettenrekorder Hans heißt, ihrer Meinung nach ein übelster Idiot ist. Jetzt war sie im Jobcenter und muss drei Monate Bewerbungstraining machen.
„Bewerbungstraining, was macht man denn da?“, fragte ich. „Also, wenn man so was rein gedrückt bekommt, dann ist das doch irgendwie so, als würde man die Kompetenz abgesprochen bekommen, sich anhand seiner Fähigkeiten selbst um eine Bewerbung zu kümmern.“
„Ja. Ich hab der Tante hinterm Schreibtisch auch gesagt, dass das doch total Quatsch ist. Wenn so etwas dann in einer Bewerbung steht, dann ist doch die Bewerbung nichts mehr wert. Daraufhin wurde die sogar rot im Gesicht.“
„Ja. Wieso musst du das denn eigentlich machen?“
„Ich weiß nicht. Die sagte, ich bin zu launisch.“
„Und wer ist eigentlich dieser Hans?“
„Ein Idiot eben. Wie dein Struwe früher.“
Und dann fiel es mir wieder ein. Spätherbst 2005. Abi in der Tasche, auf Uni keine Lust. Erstmal ein FFJ (Freiwilliges Faules Jahr) und um immer etwas Kleingeld zu haben bei Penny auf'm Kiez (Nobistor) gejobbt. Da saß ich dann an der Kasse und scannte Waren für die Laufkundschaft, die immer vor dem Eingang lungerte und musste auf's Klo und fragte den Chef, ob er mal für fünf Minuten die Kasse übernehmen könne, weil ich dringend auf Toilette musste und er schrie: „NEEEEIIIINNNN! Du bleibst da sitzen, notfalls bis dein Stuhl nass wird!“ Und oh ja, wie er schrie und wie er mich hasste, als ich seine Zigarettenpause gegen meine Klopause eintauschte. Ich kann mir vorstellen, wie es ist, so einen Hanswurst als Kollegen zu haben.
„Manchmal frag ich mich, wieso es Leuten so leicht fällt, einfach los zu schreien. Wie kann man nur so ein Arschloch werden?.“ fagte meine Freundin aus Berlin leise.
„Hmm...ich weiß nicht, falsche Freunde, Klassenbester, schlechte Erziehung. Ich glaube, dagegen muss man sich schützen", sagte ich. "...durch die mit dem Fernrohr seiner Wünsche anvisierten Ziele und nette Leute in den Treffpunkthäusern deiner Stadt.“
Im Augenwinkel sah ich, wie der Hund sich rekelte, aufsprang, zur Tür rannte und anfing zu knurren und zu bellen. Klares Zeichen, dass er seine Klopause einforderte. Ich hätte ihn anschreien können. „NEEEEIIIINNNN, du bleibst da sitzen, notfalls bis der Teppich nass wird“ Aber ich sagte tschüss zu meiner Freundin aus Berlin, nahm die Leine und ging raus in den Schnee und dachte darüber nach, dass ich in einem Monat, wenn mein EVS vorbei ist und ich aus Schweden nach Hamburg zurück gekehrt bin, bestimmt auch im Jobcenter sitzen werde und mir Referate über Bewerbungstrainings anhören muss.