Über den Berg
Kruenkernchen bekam Besuch von ihrer Familie. Dabei wurde ihr bewusst, dass sich ihre Wahrnehmung zu Land und Umgebung in den letzten Monaten stark verändert hat.
2. Februar 2008 Nach nur eineinhalb Monaten in Accra und dem langsamen Anfang der Arbeit im Projekt, fühle ich mich hier in der Hauptstadt Ghanas wirklich richtig wohl! Die Zeit verfliegt jetzt nun doch wie nix, sodass ich fast ein wenig überrascht bin, dass heute schon der Tag angebrochen ist, an dem meine Schwester, meine Mutter und ihr Freund hier in Ghana landen und mir einem fast dreiwöchigen Besuch im Entwicklungsland abstatten. Doch bevor es am Abend zum Flughafen geht, habe ich mich noch mit der finnischen Hanna verabredet, die ich beim Mid-Year Camp unserer Organisation als eine der Kurzzeit-Freiwilligen hier in Accra kennen gelernt habe. Das ist auch schon wieder fast drei Wochen her, dass wir uns mit allen Volontären in Kumasi getroffen und über das Vergangene und das Kommende geredet haben. Wahnsinn, wie die Zeit rast, wenn man sich wohl fühlt. Auf alle Fälle ist sie in einem Projekt in Hatzu, einem Stadtteil nicht weit weg von Dome Pillar2. Mit dem Trotro Richtung Dome Estate bis zur Atomic Junction und dann umsteigen in eins nach Madina und schon bin ich am Geldwechselbüro, an dem wir uns verabredet haben. Und nach einem Mal Anklingeln ist die Hanna (ohne H) auch schon da und wir laufen die staubige, rote, ungeteerte Strasse bis zu ihrem Waisenhaus vor, in dem sie arbeitet und mit vier anderen Volontären aus Europas Großraum wohnt. Drinnen leben etwas mehr als 20 Jungs zwischen 6 und 21 Jahren, die abwechselnd kochen und Unsinn mit Hannas UNO-Spiel anstellen. Das Waisenhaus wird von einem schlechtgelaunten Pfarrer geleitet, der sich sehr gestört zeigt, als Hanna seinen Fernsehnachmittag unterbricht, um mich als Besucher vorzustellen. Netter Mann... Als ich so ziemlich alle Jungs gesehen hab und ne Runde um das gesamte Anwesen gemacht habe, beschließen wir, zu Madina Market zu fahren, weil dort erstens was los ist und wir zweitens beide grad in Bedürfnis neuer Schuhe sind. Die Slipper und Flip-Flops haben hier wegen der entwicklungsbedürftigen Straßen nämlich eine minimale Haltbarkeitsdauer von unter einem Monat! Also geht's ab im Trotro weiter in Accras Norden. Die Märkte in Ghana sind wirklich etwas, was man so in Europa nie finden würde. Reis, Zucker und Bohnen türmen sich hier in riesenhaften Eimern neben Wäschebergen, Yam-Wurzeln und bunten Batikstoffen. Es riecht ganz intensiv nach dem Schweine- und Fischfleisch, das sich auf den Holzplatten der dicken Marktfrauen stapelt. Und eines haben alle Märkte gemeinsam: innerhalb von kürzester Zeit hat man sich so herrlich verlaufen, dass man die wohlgeordneten Gänge eines mitteleuropäischen Kaufhauses als Vision aus einer anderen Welt empfindet. Doch da die Verkäufer keine rechte Lust zum Handeln und ich keine rechte Lust auf die Zahlung eines total überhöhten „obruoni“-Preises habe, kaufe ich nur eine Tube Coco-Body Butter und Hanna findet ein nettes Second Hand T-Shirt, das wahrscheinlich wie alle diese Billig Shirts seinen Weg nach Ghana über einen wohlgemeinten Kleiderspende-Transport aus Europa gefunden hat. Die Sonne ist inzwischen schon nicht mehr afrikanisch, sondern normal für einen Berliner Sommertag, sodass wir uns zum Essen in eine der Chop-Bars an der Trotro Station setzen und Fried Rice mit Fisch verzehren. Dabei tauschen wir die absurden Erfahrungen aus, die wir hier während der letzten Monate so gemacht haben und mir wird langsam immer klarer, dass das Heimkommen nicht nur einfach werden wird, sondern auch mit dem einen oder anderen Kulturschock verbunden sein kann. Aber da es schon wieder Moskitozeit ist, muss ich mich von Hanna verabschieden und finde schon nach ein paar Minuten ein Trotro, das über Legon direkt an der Kreuzung zum Flughafen hält. Im Auto fingere ich nervös an meinen 40 Pesewas herum, die der Mate des Trotros für die Fahrt von mir bekommt. Unglaublich, dass die drei gerade unterwegs sind hierher! Natürlich bin ich viel zu früh da, aber erstmal total mit dem unglaublichen Anblick des Flughafens beschäftigt. Als ich hier gelandet bin, war das ein Gebäude, so vollkommen „Dritte Welt“ für mich. Und jetzt kommt mir der Empfangsbereich vor wie ein „Urlaub in Italien“. All die Lichter und diese sauberen Toiletten! Meine Gedanken kreisen für die nächste Stunde ums Unterwegs sein und meine Augen um die Anzeigetafel. Und dann ist es soweit: Da kommen die drei! Voll bepackt und völlig blass sind sie hier!