Theater auf der Insel

In einem langen weißen Spitzenkleid steht ein junges Mädchen im Rampenlicht am vorderen Rand der Theaterbühne. Mit fast schon übertrieben verliebtem, fragendem Blick greift ein Junge in einem vornehmen schwarzen Anzug aus einer anderen Zeit nach ihren Händen. „Non, pas tout le monde. Seulement nous deux“, lächelt das Mädchen. Die neun anderen Jugendlichen, alle in mehr oder weniger abenteuerlicher Kostümierung, jubeln, Fotos klicken, eine Rose fliegt. Und das Publikum im Saal fällt klatschend ein. Die Jugendgruppe des Theaters „P’tit théâtre“ in Redon hat ihren Auftritt auf dem Theaterwochenende glänzend gemeistert. Und mittendrin in der Zuschauermenge, die aus den verschiedensten Theatergruppen der Bretagne besteht, stehe ich, und mache Fotos. Ich durfte mit auf das Theatertreffen „Effervescences“ auf der Île de Groix, denn ich arbeite unter anderem für das Theater in Redon.

Schon seit einigen Wochen plante die Theatergruppe des „P’tit Théâtre“ von Anne-Marie ihren Auftritt und ihre Reise zum Theatertreffen. „Effervescences“, was im Deutschen so viel wie Hektik, schnelles Agieren heißt, ist ein Treffen von vielen verschiedenen Theatergruppen, die aus der ganzen Bretagne kommen. Organisiert wird diese Aktion von vielen freiwilligen Helfern, Veranstaltungsort ist die für ihre Schönheit bekannte Île de Groix, eine Insel vor der Bretagne.

Und so war schon die Anreise ein kleines Abenteuer. In zwei Kleinbussen zog die Theatergruppe Samstagmorgen in der Dunkelheit los, mehr oder weniger müde, mehr oder weniger bepackt, aber alle voller Vorfreude. Am Hafen wurde dann auf ein Boot gewechselt, das nach einer Stunde Fahrt auf der Insel ankam. Bei Sonnenschein und Empfangskomitee, das die Reise über die wunderschöne Insel übernahm, kam bald Urlaubsstimmung auf. Die kleinen Häuschen am Meer, die als Unterkunft für die Nacht vorgesehen waren, verstärkten diesen Eindruck weiter. Mit einem Mittagessen am Strand begannen wir so voller Motivation das Wochenende auf der Insel.

Während des Theaterworkshops, der offen für alle im Zentrum des Feriendorfs angeboten wurde, lernten sich die verschiedenen Gruppen erstmals kennen. Die meisten Teilnehmer waren bereits erwachsen, bunte Menschen, die meisten sehr lebhaft und interessant. Stille, Körpersprache, Gefühle, Raum – das waren die Themen des Nachmittags. Und so brachten wir ohne Worte unsere Mimik und Gestik zum Sprechen, nahmen den Raum ein, probierten uns durch Geschwindigkeiten beim Laufen und Bühnen ohne Grenzen.

Für den Abend war eine gemeinsame Aufführung geplant, im Theater im nahegelegenen Ort. Da dies das erste Mal für alle auf dieser Bühne war, wurde davor über Technik und Licht geredet. Dann wurde zum feierlichen Beginn des Abends gemeinsam gegessen.

Die Aufführung selbst bestand aus zwei Teilen. Zuvor hatten alle Gruppen zwei Texte zur Auswahl geboten bekommen, aus denen sie einen selbst interpretieren konnten. Damit gab es vom selben Text mehrere Varianten – und die sehr bunt.

„Finissez vos phrases“ – „Beendet eure Sätze“ hatten die Jugendlichen gewählt. Bei ihnen wurde es eine wilde Mischung aus kurzen, aneinander gereihten Szenen aus verschiedenen Jahrhunderten, die sehr gut ankam. In weißen Kleider, Teufelshörnern, Anzug, langen Prinzessinnenkleider, Frack und 20er-Jahre-Kleid flogen sie über die Bühne. Andere ließen das Stück am Strand  bei der Wassergymnastik spielen, wieder andere während einem Verbrechen in der Bibliothek oder einer Castingshow für Models. Das Publikum war total begeistert und tobte vor Lachen. Die ganz verschiedene Sicht auf den Text war interessant – und meistens witzig dargestellt. Der andere Text war ein Gespräch auf einer Firmenfeier, ebenfalls in Abwandlungen dargestellt. In schwarzen Anzügen nippten die Schauspieler an ihren Gläschen oder probten den Aufstand.  Und in der Menge war es ebenfalls bunt. Denn hier war das Publikum genauso aktiv, wie die Akteure. Die vielfältige Welt des Theaters, sie hat mir gut gefallen.