Mein erster Monat in Riga – verhasst und verliebt
Als Dirki in Riga ankam, war erst einmal alles ganz furchtbar. Einen Monat später sieht die Sache schon ganz anders aus. Nur mit dem korrekten Rollen des „r“ tut er sich noch schwer.
So, nach nun einen Monat hat sich so einiges bei mir verändert. In meinem ersten Tagebucheintrag, am zweiten Tag, hörte sich alles sehr schlecht an. Mich kotzte hier wirklich alles an und ich machte mir auch wirklich Gedanken über einen Rückzieher aus der ganzen Geschichte. Dies war wohl der bekannte Kulturschock, der mich in ein tiefes Loch stürzen ließ! Aber ich kann Euch beruhigen, es hat sich ganz und gar gewandelt. Nach den anfänglichen Problemen mit meiner Wohnsituation hat sich es nun so ergeben, dass ich in einer internationalen 3er-WG wohne. Ich teile die Wohnung mit einer supernetten Spanierin und einem Belgier. Die Wohnung ist wunderschön, sogar ein Klavier thront im Wohnzimmer. Leider ist sie nicht im Zentrum, sondern etwa eine halbe Stunde davon entfernt. Das ist für mich jedoch kein Problem, weil ich vorher genauso weit weggewohnt habe. Dafür gibt es einen tollen Ausblick über Riga und den Hafen, da wir im neunten Stock wohnen.
Jetzt werdet Ihr Euch fragen: Mensch, Dirk! Hast Du denn in den vier Wochen nicht ein bisschen mehr erlebt? Ich kann nur sagen: Jupp! Aber wo soll ich bei dem ganzen Erlebten anfangen? Vielleicht am dritten Tag, da war ich mit Steffi, einer deutschen Freiwilligen, beim Basketball in der neuen Riga-Arena. Die Karten schenkte mir ein Mitarbeiter aus dem Jugendzentrum, in dem ich arbeite. In der Riga-Arena wurden die meisten Spiele der Eishockeyweltmeisterschaft 2006 ausgetragen, dementsprechend riesig ist auch diese Mehrzweckarena. Eigentlich bin ich ja der Meinung, dass Basketball eine der langweiligsten Sportarten überhaupt ist. Ich meine, beide Mannschaften haben bis in der letzten Minute einen Punktestand, der sich fast gleicht. Das Spiel entscheidet sich doch meistens erst in den letzten Sekunden. So war es auch an diesen Tag der Fall. Riga lag einen Punkt hinter der Gegnermannschaft. In der letzten Sekunde ließ ein US-Amerikaner der Rigaer Mannschaft den Ball aus seinen Händen. Im hohen Bogen flog der Ball dem ersehnten Korb entgegen. Die Schlusssirene hupte... Zack! Der Ball war im Korb, zack, Riga hat gewonnen. Das nächste Mal gehe ich dann doch lieber erst während des letzten Viertels zum Basketball. Den Samstag darauf besuchte ich Sebastian, einen französischen Freiwilligen, in Livani. Das ist ein kleines, verschlafenes Dörfchen zwischen Riga und Daugapils (dazu später mehr). Kaum zu glauben, wie billig Fahrkarten sein können. In Riga bezahlt man für eine einfache Fahrt in der Tram umgerechnet nur dreißig Cent. Der Fernverkehr dauert zwar wesentlich länger – 200 Kilometer in vier Stunden sind wirklich rekordverdächtig, wobei man in Deutschland dafür nur eine Stunde im Zug verbringt – ist aber sehr billig. Sebastian wohnt in einer dieser großen Plattenbauwohnungen, die in sowjetischen Zeiten überall in Lettland aus dem Boden gestampft wurden. War alles echt supernett, bis auf seine Sanitäranlagen, die nur so in der Nase brannten. Am Abend unterhielten wir uns in einem Kauderwelsch aus Englisch, Deutsch, Lettisch und Französisch, tranken Alus und viele weitere lettische Flüssigkeiten. Mit dem fertigen Cola-Rum aus der 1-Liter-PET-Flasche konnte ich mich leider nicht anfreunden, wie anfänglich gedacht. Na ja, mit einem kleinen Kater und der Nacht im Schlafsack (sehr wichtig für Freiwillige) ging es dann am nächsten, leider verregneten, Morgen nach Daugapils. Hier besuchten wir Orkan, einen türkischen Freiwilligen. Dessen Wohnung war im Gegensatz zu Sebastians der reinste Traum. Europäische Freiwillige leben eben in sehr unterschiedlichen vier Wänden. Daugapils ist eine wirklich sehr hübsche Stadt, mit vielen alten Gebäuden und Denkmälern. Eigentlich wollten wir noch am gleichen Tag nach Riga zurück, aber wir haben uns dann doch anders entschieden und haben die Nacht dort verbracht.
Den nächsten Morgen fuhr ich mit Steffi im Zug zurück nach Riga. Ein schweinekalter Zug war das, so kalt, dass wir uns die Fahrt über mit dem Schlafsack warm halten mussten. (Also Ihr lernt: Ein Schlafsack ist wichtig!) In Riga angekommen hatte ich noch genug Zeit, um ins Hostel zu fahren, den Rucksack abzustellen und dann pünktlich um zwei in meinem Projekt zu erscheinen.
Dort warteten wieder viele große Kinderaugen und unendliche Partien Billard und Tischtennis. Die Woche verbrachte ich damit, mir Riga etwas näher anzuschauen.
Am Freitag wartete das On-Arrival-Training auf mich. Wieder einmal den Rucksack für vier Tage packen und los ging es. Im Normalfall findet das On-Arrival-Training mit 15 Freiwilligen statt. Meins jedoch mit nur drei anderen: Andrea aus Salzburg, Julia aus Wurzen (Sachsen) und Leandro, einem Portugiesen. Das Seminar war wirklich toll, wie eine kleine Familie eben. Leider waren die beiden lettischen Pädagogen nicht so kontaktfreudig und gingen schon abends um acht schlafen. Die Abende verbrachten wir, aus schierer langer Weile, sehr kreativ mit Kürbisbowlen, Seilspringen und Feuer im Ofen anschauen. War aber wirklich sehr lustig.
Am Sonntag machten wir einen Ausflug in der Umgebung, besuchten einen sehr schönen Park mit Burg und besichtigten die Stadt Sigulda mit ihrer Bobbahn. Sogar mit einem Riesenrad fuhren wir, das Ganze war aber eher schlimmer als jede Geisterbahn. So viel Schiss hatte ich lange nicht mehr, bei dem verrosteten und total unsicheren Koloss. Wir haben es zum Glück überlebt. Montag ging es wieder nach Riga zurück, ich zeigte den drei anderen Freiwilligen die Stadt. Zum Glück haben wir uns nicht verlaufen, da ich mich selbst zu dem Zeitpunkt nicht wirklich in der Stadt auskannte. Wir schworen anschließend, uns alle Gegenseitig besuchen. Eher sah es so aus, dass jeder mal eine Party in der Stadt, wo er arbeitet, schmeißt.
So war die nächste Party die Woche darauf in Lipaija wo Leandro wohnte. Die Woche verbrachte ich in meinem Projekt wieder einmal mit Billard, Tischtennis und Novus (ein baltisches Tischspiel, was sehr an Billard erinnert). Also am Samstag ging es nach Lipaija zu Leandro. Kath, eine andere deutsche Freiwillige, sowie eine ungarische und eine polnische lebten ebenfalls hier.
In Lipaija streunerten wir alle zuerst an den Strand, ein wunderschöner Anblick war das. Hier kann man auch nach Bernstein suchen. Sollte hier aber aufpassen, den Bernstein nicht mit Phosphor zu verwechseln, das könnte fatal enden. Abends war wieder das übliche für Freiwillige: Leandro setzte knapp zehn Liter richtig guten Sangria auf. Der reichte dann noch für den nächsten Morgen als vitaminreiches Frühstück. Sonntags sind wir nach Korosta, einer Geisterstadt mit einem riesigen, ehemaligen Kriegshafen der Russen, die 1900 hier eine eigene Stadt in der Stadt aufbauten. Erst 1994 wurde diese für alle geöffnet, vorher war dies ein streng kontrolliertes Militärgebiet.
Leider vermachten wir uns so mit der Zeit, dass ich erst am nächsten Morgen nach Riga konnte und so viel zu spät auf der Arbeit erschien. In dieser Woche fand ein Projekt des Jugendzentrums statt. Meine Tutorin beschrieb es als „Arbeitslager“ für die Jugendlichen. Das Wort „Arbeitslager“ musste ich ihr jedoch genau im deutschen Sprachgebrauch erklären. Die Jugendlichen konnten hier von Montag bis Freitag arbeiten kommen und sich etwas Geld dazu verdienen. Wir fegten unendlich viele Blätter von den Wegen und reinigten Treppenhäuser in der Moskau-Vorstadt in Riga. Samstag durften alle zur Belohnung mit zum Paintball.
Das war wiederum eine verdammt lustige Angelegenheit. Paintball ist in Deutschland erst ab 18 spielbar, hier gibt es keine Altersbeschränkung. Die blauen Flecken blieben zum Glück aber aus. Sonntags machten wir einen DVD-Abend in der Wohnung von einem deutschen Pfarrer.
Ja, sonst gab es noch viele weitere Begegnungen mit vielen Deutschen. Erasmusstudenten, Urlaubern, Praktikanten und und und. Sogar einen deutschen Stammtisch gibt es alle zwei Wochen in Riga. Dort durfte ich natürlich auch nicht fehlen. Das ganze organisiert der DACH-Verein mit dem Sinn des Sprachaustausches zwischen Deutschen und Letten. So widerfährt es mir, dass ich mich fünf Minuten mit einer Studentin unterhalte und anschließend frage: „Ja, wo kommste denn überhaupt her aus Deutschland?“ Kaum zu glauben, aber sie war aus Lettland und besuchte Deutschland vor zwei Jahren nur eine Woche. Da stellt sich die Frage, wo man so gut Deutsch lernt. Ich bin schon vier Wochen in Lettland und stell mich wie ein Idiot bei der Aussprache des „Guten Morgen“, also „Labrit“ an: „Du rollst das „r“ total falsch“, kommt nur immer. Na ja, Schwamm drüber. Ich hab’ ja ab nächster Woche Sprachunterricht, da kann sich meine Lehrerin mit dem Problem rumschlagen, mir das bei zu bringen.
So, heute sitze ich also in der neuen Wohnung und tippe diese Zeilen nieder. Morgen will ich nach Balvi fahren. Ich wäre eigentlich schon heute gefahren, aber das hat durch den Umzug zeitlich nicht gepasst. Genug geschrieben...
Bis zum nächsten Mal... Dirk