Geschichten der Seele
Nach einigen Tiefs, überwundenen Problemen und Veränderungen meldet sich Julia wieder frohgemut aus Ungarn zurück. Dank eintäglicher Einsiedelei, einem netten Kurztrip nach Debrecen und Eger und der Aussicht auf Besuch von der lieben Familie geht es ihr jetzt wieder richtig gut.
Mittlerweile müsst Ihr es ja schon gewohnt sein, dass ich mich ein paar Monate nicht melde, um Euch dann wieder einmal mitzuteilen, wie es mir so geht. Ich habe gerade noch mal meinen letzten Tagebucheintrag gelesen und feststellen müssen, dass der ganz schön negativ war, was eigentlich sonst gar nicht so mein Fall ist. Aber zum Intensivsprachkurs war ich an einem Punkt, wo ich dachte, dass es so nicht weitergeht, gerade mit meinem Ungarisch. Mittlerweile mache ich mir nicht mehr so viel Stress, denn ich bin noch ungefähr zwei Monate hier, da wird sich nicht viel ändern. Ich nutze jetzt einfach das, was ich kann, der Rest kommt wirklich von alleine. Trotzdem bin ich weiter in einem Sprachkurs, der ist allerdings bei weitem nicht mehr intensiv. Doch nur so habe ich die Möglichkeit, weiter zu kommen und nicht stehen zu bleiben.
Endlich ist hier auch der Frühling eingekehrt. Das war, glaube ich, der längste Winter, den ich je erlebt habe. Am Ende konnte ich den Schnee, wenn ich morgens aus dem Fenster geguckt habe, nicht mehr sehen. Aber jetzt scheint die Sonne und es ist schon erstaunlich warm, so dass die Laune auch gleich viel besser wird.
Seit zwei Wochen bin ich nun keine offizielle Freiwillige mehr, da es mir hier aber so supergut gefällt, habe ich beschlossen, dass ich bis Mai bleibe und weiter im Projekt mitarbeite. Leider können die mir meine Wohnung und auch mein Taschengeld nicht wirklich weiter zahlen, so dass ich mittlerweile andere Wege aufgetrieben habe, mein Leben hier zu finanzieren. Das war sehr spannend, nicht zu wissen, wo man den nächsten Tag sein Essen herbekommt, aber glücklicherweise kenne ich genug Leute hier, die mir geholfen haben.
Außerdem bekomme ich morgen Besuch aus Deutschland von meiner Mum und meinem Bruder, die hoffentlich auch meinen Kühlschrank füllen, bevor sie wieder fahren. Doch das ist lange nicht der einzige Grund, warum ich mich über ihren Besuch freue. Es wird sicher aufregend, ihnen mein Leben und meine Arbeit hier zu zeigen, obwohl ich noch nicht so ganz weiß, was vor allem meine Mum davon halten wird. Aber das wird schon.
Meine Arbeit läuft zurzeit richtig gut. Es gäbe zwar genügend Gründe, mich aufzuregen, aber die sind es meistens nicht wert. Vielleicht nur ein Beispiel: Vor einiger Zeit war ja Welt-Frauentag. Alle Frauen auf der Arbeit haben eine Blume bekommen, außer die beiden (wohl sehr weiblichen) Freiwilligen. Das fand ich schon etwas gemein. Nicht, dass mir die Blume so wichtig gewesen wäre, aber die Geste...
Na ja, ich habe auch echt überlegt, ob ich in der Zeit, die ich noch hier bin, nicht noch versuche, was anderes zu machen und die Arbeit im Behindertenheim hinzuwerfen. Letztlich sind die einzigen, die darunter leiden, meine kleinen Schützlinge, die ich echt lieb gewonnen habe, und die ich echt vermissen werde, wenn ich wieder in Deutschland bin. Wo ich wohl nicht hin zurück möchte, aber es gibt ja noch richtige Pflichten...
Apropos vermissen. Ein Wochenende ging es mir richtig schlecht. Es ist jetzt, wo alles vorbei ist, sehr schwer, das alles in Worte zu fassen. Es fing damit an, dass ich mich richtig mit Jule gestritten habe (ich denke immer noch, dass es ihr Fehler war, aber egal). Dann kamen so viele Dinge aufeinander.
Ich hatte schon seit langem das Gefühl, dass ich hier nichts bewegt habe. Dass ich, wenn ich nach Hause gehe, schnell vergessen werde, und dass sich hier nicht verändert hat. Auch dachte ich, dass mich keiner von den Leuten, die ich hier kennen gelernt habe, vermissen würde. Das hört sich jetzt alles etwas aus der Luft gegriffen an, aber irgendwie habe ich mich da ganz schön reingesteigert.
Jetzt, wo es mir wieder super geht, denke ich, dass es ein Gefühl war, wie wenn man einfach lange nicht in den Spiegel geguckt hat. Nicht wörtlich, aber dass man wieder etwas Zeit für sich braucht, um zu wissen , was man will und was einem wichtig ist. Meine ganzen Gefühle habe ich auch der Ani erzählt, und als ich sagte, dass ich das Gefühl habe, mich wird hier keiner vermissen, sagte sie nur, "Das ist schade, dass du so denkst!" Und genau in diesem Augenblick wusste ich eigentlich, dass es nicht stimmt. Ich habe dann den ganzen nächsten Tag zu Hause ALLEINE verbracht und danach ging es mir super. Es ist einfach auch manchmal schwer, überhaupt keinen Raum zum Zurückziehen zu haben....
Lange Rede, kurzer Sinn: mir geht es wieder super. So ein Tief musste ja mal kommen. Nun bin ich mir bewusst geworden, wie viel andere mir und wie viel ich anderen bedeute.
Letztes Wochenende (13./14.März) war hier ein langes Wochenende. Am 15. März ist nämlich der ungarische Nationalfeiertag, das ist leider ein Dienstag. Nun, die Ungarn machen das aber ganz clever und nehmen den Montag auch frei und arbeiten dafür den nächsten Samstag. Das find ich mal eine geniale Erfindung.
Wie auch immer, wir haben dieses lange Wochenende genutzt, um noch ein bisschen durch das schöne, frühlingshafte Ungarn zu reisen. Wir sind also in den Zug gestiegen, nach Budapest gefahren und von dort nach Debrecen. In Debrecen wohnen zwei andere Freiwillige, die wir besucht haben. Am Montag früh sind wir dann von dort nach Eger aufgebrochen, dorthin, wo der bekannte ungarische Wein herkommt (für die Weinkenner unter euch ;-). Eger war echt superschön, fast so schön wie Pécs. Leider hatten wir nur einen Tag Zeit, aber den haben wir definitiv gut ausgenutzt. Vor allem diese kleinen verwinkelten Gassen in Eger sind wunderschön.
Nun gut, von dort wollten wir zurück nach Budapest. Da wir uns aber das Geld für den Zug sparen wollten, haben wir versucht zu trampen. In Ungarn soll das wohl, laut der Einheimischen, sehr schwer sein, aber wir hatten Glück. Ein netter Herr wollte uns drei Mädels mitnehmen. Er fuhr aber nicht bis Budapest, meinte aber, dass dort, wo er uns rauslassen will, es nicht schwer sein würde, ein Auto nach Budapest zu finden. Gesagt, getan. Nur hat er etwa 15 km später schon angehalten. In einem kleinen Dorf mitten in der Puszta und meinte, dass er hier wohnen würde.
Da hatten wir den Salat. Es war schon dunkel und wir standen an einer Schnellstrasse, wo die Autofahrer uns wenn, dann überhaupt sehen, wenn sie schon an uns vorbei sind. Klasse! Eine Weile standen wir dort, dann kam unser erster Mitnehmer zurück und meinte, dass er uns besser zum Bahnhof bringt, damit wir wenigstens noch nach Budapest kommen. Da waren wir vielleicht deprimiert. Wir sind nicht mal soweit gekommen, dass das Ticket etwas billiger war. Vor lauter Frust haben wir uns im Zug eine Flasche Wein gegönnt (natürlich aus Eger) und als wir in Budapest wieder ausstiegen, waren wir schon sehr fröhlich.
Das war auf jeden Fall mal wieder ein Abenteuer, das man eigentlich keinem erzählen darf. Und ich muss leider auch schon wieder weiter, denn der Sprachkurs ruft und ich muss noch zehn Minuten Hausaufgaben machen – fleißig, fleißig.
Ich hätte noch so viel zu erzählen, aber das Wichtigste ist, dass es mir gut geht und dass ich schon nach Wegen suche, wieder hierher zurückzukommen. Denn Ungarn ist ein Land, dass man sehr schnell lieben lernt, auch die Menschen, die hier leben.
Aber ich freu mich auch ein wenig auf Zuhause, keine Angst.
10000 Küsschen aus Ungarn Love Julia