Einmal Lappland und zurück - mit einem neuen Ich!
Ein Jahr European Voluntary Service in Schweden hat mich viele Menschen treffen und Erfahrungen machen lassen. Das Ergebnis: Es hat mich verändert und beeinflusst noch heute positiv mein Leben. Ein Bericht mit Rückblicken und Erkenntnissen.
Erfolgreich schloss ich meine Ausbildung zum Kaufmann für Bürokommunikation in einem Dienstleistungsunternehmen ab, das im Anschluss keine weitere Beschäftigung meiner Person in einen Rahmen des Möglichen rücken konnte. Denn direkt nach meiner Lehrzeit hatte ich das Vergnügen vom Staate eingeforderte Pflichten zu erfüllen. Ich gebe zu: Wenn ich mich daran erinnere, dann realisiere ich, wie schnell die vergangenen Tage das Konto meines Alters haben ansteigen lassen - neun Monate Zivildienst standen an. Diesen absolvierte ich in einer Jugendherberge auf der Schwäbischen Alb. Während dieser Zeit, in der ich tatsächlich wunderbare Menschen kennen lernen und Erfahrungen sammeln durfte, traf ich eine Entscheidung. Um mir in der Zukunft die Möglichkeit eines Studiums offen lassen zu können, wollte ich nochmals ein Jahr die Schulbank drücken, um wenigstens die Fachhochschulreife zu erlangen. Nun entstand mir ein Puffer: Zwischen Ende meines Daseins als „Zivi“ und Beginn des damals anstehenden, neuen Schuljahres lagen Monate. So nahm ich an einem sieben Wochen andauernden und von einer sozialen Einrichtung organisierten Auslands-Praktikum teil – in Schweden. Und ich verliebte mich in Sprache, Land und Leute!
Sehr direkt im Anschluss daran besetzte ich in eben dieser Organisation eine Position in der Verwaltung, die auf ein viertel Jahr – zur Vertretung - ausgeschrieben gewesen ist. Perfektes Timing! Nie vergaß und nie vergessen werde ich folgenden Satz einer tollen Kollegin aus dieser Zeit: „Lieber Herr Jens, komm! Wir schicken dich nochmal nach Schweden!“ Denn die „Erlacher Höhe“ fungierte sowohl als Entsende-, als auch als Empfangs-Institution innerhalb des Netzwerkes des Europäischen Freiwilligendienstes. Während einer Lebensphase der Unsicherheit, des „Flügge“ werdens und der Suche nach Antworten auf „Wie geht es denn nun weiter?“, brachte DIESER Einfall, den ich im Moment seiner Aussprache noch als „Schnaps-Idee“ abgetan hatte, letztendlich DEN Stein ins Rollen.
Die Prüfungen zur Fachhochschulreife wurden terminiert und mit Unsicherheit, ob ich es wirklich wagen würde, bewarb ich mich aus reiner Neugier auf deren Rückmeldungen in verschiedenen Kommunen in Schweden für einen Einsatz im European Voluntary Service. Aus Angst vor Heimweh und um gegebenenfalls doch in nächst möglicher Nähe zu sein, hoffte ich auf eine Zusage in Malmö, Südschweden. Sieben oder acht Bewerbungen hatte ich verschickt und nur eine positive Antwort hatte ich nach den Einsendungen meiner Unterlagen erhalten. Und die erreichte mich aus Arvidsjaur in Lappland!
Als eine Art Mentor sollte ich dort für ausländische Jugendliche, die ihren nationalen Schwierigkeiten der heimischen Arbeitsmärkte ausgesetzt gewesen sind, als Begleiter während derer mehrwöchigen Praktika in Norrbottens län begleitende Aufgaben übernehmen. Und ich sagte zu! Ich durfte Menschen aus Deutschland, Italien, England und Spanien unterstützen, mit denen ich zum Teil noch heute Grenzen überwindende Freundschaften pflege.
Wir bemusterten Rentiere aus nächster Nähe, bestaunten gemeinsam Polarlichter und erkundeten die vielfältige skandinavische Natur und auch ihre Kultur. Wir besuchten Stockholm, den Weihnachtsmann im finnischen Rovaniemi und genossen einen Trip nach Norwegen, der uns Fauske und Bodo vertraut machte. Wir feierten Nächte durch, in denen es überhaupt nicht dunkel wurde und Besuche in Schwimmhallen, mit ihren integrierten Saunen, erwärmten im Winter - wenn es am Tage durchgehend an Sonnenstrahlen mangelte - unsere Herzen.
Das „Lagom-Phänomen“ (Lagom = nicht zu viel, nicht zu wenig), Fika (die strikt einzuhaltende Kaffeepause mit Keksen oder Kuchen gegen 9:30 Uhr) und das Luciafest (einst der kürzeste Tag im Jahr, vor Einführung unseres heutigen Kalenders) am 13. Dezember habe ich, seit langem zurück in Deutschland, in mein Leben etabliert. Auch Kubb, das so genannte Wikingerschach, begeistert immer wieder Menschen, die ihre erste Runde mit mir spielten.
Worauf ich sehr stolz bin: Noch heute spreche ich fließend Schwedisch. Doch nicht nur das hat mir meine Auslandserfahrung beschert. Als Vorbild wurde ich wiederholt auf Veranstaltungen der „Erlacher Höhe“, die potentielle Praktikanten eine Erfahrung in Schweden oder Italien nahe bringen sollten, eingeladen. Ebenso auf eine Konferenz in Berlin. Dort wurde ich auf einer Bühne vor dem "Netzwerk des Europäischen Austausches“ interviewt. Es trafen sich Zuständige aus ganz Europa, die Menschen in die Welt hinaus senden oder/und Freiwillige im eigenen Land aufnehmen wollten. Das war eine einmalige Erfahrung! Vor Beginn wurden Kopfhörer verteilt, mit welchen die Teilnehmenden per Knopfdruck ihre bevorzugte Sprache auswählen konnten. Was ICH sagte wurde dann parallel aus drei Kabinen in Englisch, in Spanisch und in Französisch übersetzt!
Ich wiederhole mich: Das alles geschah während einer Lebensphase der Unsicherheit, des „Flügge“ werdens und der Suche nach Antworten auf „Wie geht es denn nun weiter?“ Doch die gemachten Erfahrungen haben mir das selbst- und eigenständige Schreiten in die "weite Welt" einfacher gemacht. Ich wurde zu einer Person, die sicherer in seinem Handeln, in seinem Fühlen und in seinen Taten geworden war. Zum aller ersten Mal verfasste ich meinen eigenen Lebenslauf und schrieb ein angemessenes Anschreiben für eine Bewerbung. Zum ersten Mal in meinem Leben erkämpfte ich mir eigenständig eine Anstellung, die erste eigene Wohnung und auch den Mut, völlig offen auf Menschen zuzugehen. Obwohl ich mich selbst heute nicht als „erwachsen“ bezeichnen würde. Mein Jahr in Schweden hat mich als Person und individueller Charakter gefestigt und zeitgleich doch irgendwie zu einem Erwachsenen gemacht.