Eine, die
Lyrischer Rückblick über meine Zeit vor dem Auslandsjahr in Finnland, danach und ein Blick auf heute.
Eine, die
Fast 14. So alt ist mein kleiner Cousin. Er ist in der 7. Klasse. Wenn ich ihn so sehe, mitten im Stimmbruch mit Pickeln auf der Stirn und tief im Pubertätswahn sich selbst zu beweisen, sich zu finden und ein 'richtiger Mann' zu werden, muss ich daran denken, wer ich mit 14 war.
Mit 14 war ich so groß wie jetzt. Ich habe so viel gewogen wie jetzt und ich hatte so große Füße wie jetzt. Meine Haare waren kürzer und ich hatte eine andere Brille. Äußerlich hat sich also nicht viel getan. Wer war ich aber innerlich? Mit 14 war ich in der 10. Klasse. Ein früheres 'Kannkind', eine die sich im Kindergarten gelangweilt hat und eine Klassenüberspringerin. Eine die sich als Kind fürs Lernen begeistert hat, die immer mehr wissen wollte, innerlich immer schon älter als äußerlich war und dann in der Mittelstufe zu oft als Streberin bezeichnet wurde. Als Lehrerliebling. Als Besserwisserin.
Also war ich mit 14 eine, die keine Lust mehr hatte. Keine Lust auf Lernen und auf Schule. Keine Lust auf irgendwas. Eine, die sich fehl am Platz gefühlt hat zwischen den anderen, die schon 16 waren. Eine die anfängt sich dem Lernen zu verweigern und eine, die nicht weiß wer sie ist und was sie will. Eine, die früher mal sehr fröhlich und unbeschwert war und die diese Fröhlichkeit nur noch selten hervorholt. Mit 14 war ich ein drittes Kind von vieren, dass sich genauso gefühlt hat. Wie ein unteres Sandwichkind. Wie das Salatblatt mit dem Nährwert eines Taschentuchs.
Mit 14 war ich aber auch eine, die gesagt hat: So geht das nicht, ich will nicht mehr keine Lust haben. Eine die sich nicht mehr schlecht fühlen wollte. Eine die gesagt hat: Ich brauch Abwechslung, ich muss raus. Eine, die weggegangen ist. Eine, die Austauschschülerin wurde. 1 Jahr Finnland. 1 Jahr Fremde Familie. 1 Jahr fremde Schule. 1 Jahr fremdes Land.
1 Jahr später kam ich wieder. Eine, die jetzt 15 war. Eine, die eine fremde Sprache kann. Eine, die stricken und Langlauf-Ski fahren gelernt hat. Eine, die Rentiere und Elche gesehen hat. Eine, die 6 Monate Schnee erlebt hat. Eine, die viele erste Male hatte. Eine, die 4 neue Geschwister und 2 neue Eltern gewonnen und nun, eine, die ein neues Zuhause hat.
Mit 15 war ich eine, die neu gestartet ist. Eine, die ihre Fröhlichkeit wiedergefunden hat. Eine, die wieder Lust auf Lernen hatte und darauf sich anzustrengen. Eine, die Lust auf neue Leute hat. Darauf sich zu engagieren und was zu verändern. Mit 15 war ich eine, die ihre Energie wiedergefunden hat und eine, die ein ganzes Stückchen mehr wusste wer sie ist.
Wer bin ich jetzt, wo ich meinen fast 14- jährigen Cousin betrachte und über mich sinniere?
Ich bin eine, die bald 22 wird. Eine, die gerade zum 5. Mal aus Finnland vom Besuchen wiedergekommen ist. Eine, die ein Einser-Abi gemacht, eine Ausbildung abgeschlossen hat und jetzt noch studiert. Eine, die immer noch Lust auf Lernen hat. Darauf immer und immer weiter zu lernen. Eine, die sich immer noch engagiert. Eine, die die Welt entdecken will und noch so viel mit ihrem Leben vorhat. Ich bin eine, die als die Fröhliche bekannt ist und eine, die sich nur in Ausländer verliebt.
Mit 22 bin ich eine, die sich gar nicht mehr festlegen will wer sie ist, sondern eine, die sich sagt 'nur wer sich ändert bleibt sich treu' und eine, die meint das Herausfinden, dass man so viel Unterschiedliches ist und sein kann, das ist viel spannender.