Die Waliser und ihr Rugby
Nach 8 Monaten in diesem Land wird es langsam Zeit, meine Eindrücke über Wales in Worte zu fassen. Daher werde ich versuchen, hier eine kleine Serie über den wohl unbekanntesten Teil des vereinigten Königreiches zu verfassen. Teil 1 beschäftigt sich mit dem walisischen Nationalsport: Rugby.
Woran denkt man zuerst, wenn man an Wales denkt? Den Fußballfans mag Ryan Giggs einfallen, die Musikbegeisterten mögen entweder an Duffy und Tom Jones oder Bullet for my Valentine, die Lostprophets oder die Stereophonics denken und die Hollywoodfans werden vermutlich Catherine Zeta-Jones im Kopf haben. Anderen mögen raue Küsten, grüne Täler und Berge (bzw. eher Hügel), Drachen und schlechtes Wetter in den Sinn kommen. Aber was gibt es sonst in Wales? Ganz klare: Rugby!
Rugby überall
Ich muss zugeben, als ich hier im Oktober vergangenen Jahres ankam, hatte ich keinerlei Ahnung von Rugby und auch nur eine ungefähre Vorstellung, wie populär dieser Sport hier ist. Nach acht Monaten muss ich sagen: Rugby ist in Wales omnipräsent. Ob Kinder, die nach Schulschluss auf einer Wiese mit einem Rugbyball statt eines Fußballs rumkicken, Beamte im Rathaus, die Hemd und Krawatte schonmal gegen das rote Rugbyshirt tauschen oder abertausende Waliser, die bei Spielen ihrer Nationalmannschaft die Straßen und Pubs in Cardiff, Merthyr und sicher überall in Wales bevölkern – irgendwo kommt man hier immer mit Rugby in Berührung.
Rugby oder Fußball?
Zwar ist auch Fußball – wie eigentlich überall auf der Welt – in Wales recht beliebt, an die Popularität von Rugby kommt König Fußball hier aber längst nicht heran – zumindest nicht, wenn es um die Nationalelf geht (was vermutlich teilweise auch am mäßigen Erfolg der Fußballer liegt). Teilweise scheint die Frage „Rugby oder Fußball“ hier aber auch so etwas wie eine Glaubensfrage zu sein. Erst vor wenigen Wochen hörte ich folgendes von einem meiner Arbeitskollegen: „Mein Neffe will jetzt auch mit Rugby anfangen, dabei hat mein Bruder alles versucht, um ihn für Fußball zu begeistern, ihm zum Geburtstag erst die komplette Ausrüstung von Cardiff City (das Fußballteam aus der Hauptstadt) geschenkt, ihn ein paar Mal mit ins Stadion genommen. Aber er will lieber Rugby spielen, wie viele seiner Freunde.“
Großereignis Länderspiel
Wie rugbybegeistert die Waliser sind, sieht man selbstverständlich am besten bei einem Länderspiel. Ich habe hier bisher zwei „Länderspielserien“ miterlebt. Einmal im Oktober und November, die sogenannten „Autumn Friendlies“ gegen Teams aus Übersee (Australien, Neuseeland, Fiji, Südafrika) und dann im Februar und März die „Six Nations“, ein Turnier, bei dem Wales, England, Schottland, Irland, Frankreich und Italien im Modus „jeder gegen jeden“ gegeneinander antreten. Ein paar dieser Spiele habe ich in verschiedenen Pubs in Cardiff miterlebt und die Atmosphäre ist schon relativ beeindruckend. Selbst beim Freundschaftsspiel gegen Australien war die komplette Innenstadt in Cardiff voll mit Menschen im roten Nationaltrikot, alle Pubs waren bis auf den letzten Quadratzentimeter gefüllt, ganz Wales schien auf den Beinen zu sein. Und das war noch längst nichts im Vergleich zum Duell gegen den großen Rivalen aus England. Als vor dem Spiel im größten Pub Cardiffs gut zwei- bis dreitausend Menschen voller Stolz die walisische Nationalhymne sangen, sorgte das sogar bei mir für Gänsehaut – und ich habe mit Borussia Dortmund ja durchaus schon die ein oder anderen genialen Momente erlebt. Fußball wird zwar immer meine Nummer eins bleiben, aber das „Erlebnis Rugby“ ist trotzdem recht beeindruckend und definitiv anders als das „Suff- und Partyevent“ auf Deutschlands „Fanmeilen“ während der großen Turniere.
Kommentare