Die ersten Monate von 2022
Oder auch, warum das Jahr bisher leider nicht so läuft wie erhofft…
Als ich im Januar nach schönen Tagen in Deutschland zurückkam, war unser Haus verstaubt. Und zwar nicht nur so ein bisschen, weil wir halt zwei Wochen nicht da waren, sondern es gab fast überall eine millimeterdicke Staubschicht auf dem Boden und den Möbeln. Während unserer Ferien wurden wie geplant Bauarbeiten im Haus durchgeführt, und es war noch keine Zeit gewesen, den dabei entstandenen Staub wegzuputzen, bevor wir wiederkamen. Glücklicherweise war meine Zimmertür geschlossen, weswegen mein Zimmer nicht betroffen war. Aber bei zweien meiner Mitbewohnerinnen leider nicht. Und die Küche und der Wohnbereich, wo eine Wand entfernt worden war, waren dadurch erst einmal komplett unbenutzbar. Netterweise kam dann aber eine Putzfrau. Es war zwar eine ältere Dame, die nur das Gröbste wegmachen konnte, aber auch das war natürlich schon sehr hilfreich. Da unser Haus auch danach noch nicht wirklich sauber war, haben wir uns den nächsten Tag frei genommen und es nochmal gründlich von A bis Z geputzt. Mit guter Musik und gemeinsamer Kraft haben wir das auch tatsächlich in relativ guter Stimmung geschafft.
Am selben Abend kam dann jedoch eine schlechte Nachricht: Eine meiner Mitbewohnerinnen (Ehda’a) wurde als Covid-Kontaktperson identifiziert. Daher isolierte sie sich noch am selben Abend in ihrem Zimmer. Ihre Zimmermitbewohnerin zog zu mir in mein Einzelzimmer aufs Gästebett. Am nächsten Tag gingen wir bis auf Ehda‘a alle noch zur Arbeit, natürlich mit Masken. Aber als am darauffolgenden Vormittag Ehda’a einen positiven Schnelltest hatte, gingen wir alle nach Hause und isolierten uns ebenfalls. Niemand durfte ausziehen und so versuchten wir die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung zu reduzieren, indem wir Masken trugen, sobald wir aus unseren Zimmern gingen und regelmäßig gelüftet haben. Trotzdem hatten nach fünf Tagen Quarantäne sowohl Kaya, die in meinem Zimmer untergebracht war, als auch ich einen positiven Schnelltest. Die Ergebnisse dieser Selbstschnelltests per PCR-Test zu überprüfen, funktioniert in Ungarn nicht oder nur in der Theorie. Tatsächlich hätte, laut unserer Mentorin, eventuell ein Arzt persönlich bei uns vorbeikommen sollen, aber das ist nicht passiert. Und selber einen PCR-Test zu organisieren geht wohl nur, wenn man keine Symptome und keinen positiven Test hat, oder aber Symptome und einen negativen Schnelltest. Die Logik dahinter ist mir nicht so hundertprozentig klar. Ich frage mich, wie das wäre, wenn in Deutschland schon ein positiver Schnelltest oder ein Foto davon ausreichen würde, um als positiv und dann später als genesen zu gelten - Querdenker würden sich freuen…
Naja, ich hatte jedenfalls durchaus Symptome (keine schweren, eher solche einer Erkältung) und Ehda’a hatte daneben auch einen Geschmacksverlust. Es ist also durchaus sehr wahrscheinlich, dass wir tatsächlich Corona hatten. Nachdem es mir etwas besser ging, habe ich die Zeit der Quarantäne genutzt, um mich über mögliche Studiengänge zu informieren (und bevor jemand fragt: Nein, ich weiß noch immer nicht genau, was ich studieren will. Aber zumindest habe ich schon ein paar gute Ideen ). Außerdem habe ich Filme geguckt und viel Musik gehört. Bis meine Tests dann wieder negative Ergebnisse hatten, brauchte es aber ziemlich lang, so dass ich insgesamt 15 Tage in Quarantäne verbracht habe. Und ich muss zugeben, dass es am Ende wirklich nicht mehr toll war, im Zimmer zu bleiben.
Als ich als letzte von uns also endlich auch wieder raus durfte, haben wir am Wochenende erst einmal einen Tagestripp nach Baja gemacht, einer kleinen ungarischen Stadt an der Donau. Es hat wirklich gut getan, draußen zu sein, durch den Schnee, der da lag, zu laufen und die Donau zu genießen. Auch wieder arbeiten zu können, war schön. Die Kinder im Kindergarten sind einfach super süß. Und in der Daycare haben wir angefangen, den Kindern unabhängig von ihren Hausaufgaben Englisch und Deutsch beizubringen und den Fortschritt in einem Ordner festzuhalten. Dadurch haben wir jetzt alle „eigene Kinder“, die wir betreuen, d.h. mit ihnen üben, wenn sie da sind, um einen möglichst konsequenten Lernfluss zu ermöglichen.
Zwei Wochen später kam dann aber schon die nächste schlechte Nachricht: Eine meiner beiden Mitbewohnerinnen, die das erste Mal ohne Corona davongekommen waren, hatte einen positiven Test. Da bis auf Sabeth alle anderen aber schon Corona hatten, gingen wir weiter arbeiten, natürlich mit Maske. Dennoch fühlte es sich, gerade in den ersten Tagen, komisch an, mit kleinen Kindern zu spielen und zu toben, während ich wusste, dass in unserer WG jemand positiv war. Zum Glück ist aber alles gut gegangen und niemand hat sich angesteckt.
Kurz nachdem meine Mitbewohnerin dann auch wieder negativ war, gab es mal eine zumindest für mich schöne Nachricht: Der Kater, der vorher in der Daycare gewohnt hatte, zog bei uns ein. Es handelt sich hierbei um Muca (gesprochen: Muza), einen 15-jährigen Kater. Durch seinen Einzug geht für mich ein jahrelanger Wunsch nach einer Katze als Haustier in Erfüllung. Die anderen sind leider weniger glücklich über Muca, da er, wenn er gestreichelt wird, ohne dass er das will, oder währenddessen seine Meinung dazu wechselt, durchaus mal ausholt oder auch beißen kann. Zwar ist Muca auch für mich nicht unbedingt die Katze, die ich mir ausgesucht hätte - er ist nicht der größte Schmuser, wobei sich das gerade ein bisschen ändert, und zum Spielen hat er entweder keine Lust oder ist einfach zu alt dafür. Dennoch tut es mir extrem gut, wieder ein Tier um mich herum zu haben, und während ich das hier schreibe, liegt er gerade zusammen gerollt auf meinem Bettende und schläft.
Ich wünschte, ich könnte den Bericht hier beenden. Schreiben: Sieht gut aus, ich habe einen Kater um mich herum, die Arbeit läuft besser… Aber so ist es halt nicht.
Eine Woche später sind wir in den Urlaub gefahren. Nach Szeged, einer ungarischen Stadt in der Nähe der serbischen Grenze. Die Stadt selber ist auch wirklich schön. Nur kamen am zweiten Tag unseres Aufenthalts die Nachrichten über den Krieg in der Ukraine. Ich weiß noch wie ich im Bett unserer Unterkunft sitze und die Nachrichten lese. Gerade am ersten Abend habe ich die Seiten fast im Minutentakt aktualisiert - im Nachhinein ist mir klar, dass das weder sinnvoll noch gesund war. Am nächsten Tag sind wir trotz allem in die serbische Stadt Subotica gefahren, ebenfalls mit einer sehr netten Innenstadt. Aber meine Gedanken waren weiterhin woanders. Da Serbien nicht Teil der EU ist hatten wir außerhalb unserer Unterkunft kein Internet,- zwischendurch Nachrichten anschauen ging also nicht. Das half etwas. Zusätzlich versuchte ich mir klar zu machen, dass es gerade auch niemandem etwas bringt, wenn ich selber nichts mehr auf die Reihe kriege. Ich versuchte also doch wieder unseren Urlaub möglichst zu genießen.
Bei unserer Rückfahrt standen wir dann stundenlang an der Grenze; zurück in die EU kommt man halt nicht ganz so leicht wie raus. Und während wir untereinander witzelten, ob wir eventuell die Nacht im Bus verbringen müssen, wanderten meine Gedanken immer mal wieder zu den Menschen, die nach ihrer Flucht unter schwierigen Bedingungen tatsächlich an der ukrainischen Grenze übernachten mussten, darunter auch Ausländer*Innen, die sich in der Ukraine aufgehalten hatten, die auf ihrer Flucht weniger Hilfe bekamen und denen gerade bestimmt gar nicht danach war darüber Witze zu machen. Nach etwa vier Stunden kamen wir dann ohne Komplikationen über die Grenze. Ohne unseren Busfahrer hätte es wahrscheinlich sogar noch länger gedauert. Da wir so wenig Leute im Bus waren (mit uns waren wir zu siebt), hatte er, sobald dies möglich war, etwa sieben volle Busse einfach überholt, da ihm bewusst war, dass wir an der Grenze selber weniger Zeit zum Pässe kontrollieren brauchten als die vollen Busse.
Am Montag nach unserer Rückkehr gingen wir wieder zur Arbeit. Schon am selben Nachmittag hatten Sabeth und ich auf eigenen Wunsch ein Gespräch mit Ákos (unserem Chef), um zu klären, wie es jetzt weitergeht. Das war eine sehr lange und interessante Unterhaltung. Dabei sagten wir ihm nicht nur, dass wir den ukrainischen Flüchtlingen helfen wollen, wie, und wo es geht, sondern wir erfuhren auch viel über die ungarische Politik und die Beziehung zur Ukraine und zu Putin. Das Verhältnis zwischen Ungarn und der Ukraine ist wohl nicht nur freundschaftlich, sondern auch etwas kompliziert. So gibt es eine ungarische Minderheit in der Ukraine, die aufgrund eines Bildungsgesetzes von 2017 verpflichtet ist, nur Ukrainisch als Hauptsprache ab der fünften Klasse zu haben. Diese Konflikte scheinen jedoch im Moment keine sehr große Rolle zu spielen. Denn auch Ungarn nimmt momentan offiziell alle Flüchtlinge auf, die kommen, etliche Helfer*Innen befinden sich an der Grenze und auch sonst melden sich viele Menschen, die helfen wollen. Und das alles, obwohl Orban und Putin sich als „Freunde“ bezeichnet haben. Absurd ist, dass sich Orban vor wenigen Wochen sogar als Held feiern lassen hat, nachdem er, wie so viele andere Staatsoberhäupter auch, nach Russland gereist war, um über die „Spannungen“ zu reden. Er hat sich danach als Friedensstifter dargestellt und behauptet, er hätte den Krieg verhindert. Naja, das hat definitiv super geklappt…
Jetzt wo die Lage doch eskaliert ist, dürfen die Flüchtlinge aber nach Ungarn einreisen. Die Nähe zum Krieg führt wohl gerade in den grenznahen Regionen zu viel Solidarität. Einen kompletten Kurswechsel in Orbans Politik gibt es aber trotzdem nicht. Er behauptet zwar, alle Flüchtlinge aufnehmen zu wollen, hat aber in einer Rede den Unterschied zwischen „Migranten“ und „Flüchtlingen“ gemacht (Quelle: https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-03/gefluechtete-ungarn-ukraine-krieg-aufnahme/seite-2 ) Also mal schauen, wie das noch weitergeht. Allgemein lässt sich die plötzliche „Offenheit“ auf die baldigen Wahlen im April zurückführen. Die meisten Menschen hier in Ungarn scheinen durchaus der Meinung zu sein, dass es das Richtige ist zu helfen. Orbans Unterstützung dafür passt nicht besonders gut zu seiner bekannten Freundschaft zu Putin, was sich die Oppositionsparteien natürlich zunutze machen. Orban beteuert währenddessen, möglichst „neutral“ bleiben zu wollen, was meiner Meinung nach in solch einer Situation nicht wirklich möglich ist.
Naja, meine Mitbewohnerinnen und ich haben uns nun in eine Liste eintragen lassen und sobald unsere Hilfe benötigt wird, werden wir benachrichtigt. Ansonsten versuche ich weiterhin informiert zu bleiben, ohne alle zwei Minuten nachzuschauen, und weiterhin Augen und Ohren offen zu halten, ob es etwas gibt, was ich tun kann.
Dennoch läuft das eigene Leben natürlich weiter. Mir hat es gut getan, dass mich letzte Woche ein Freund besuchen kam. Das war eine sehr schöne Abwechslung und willkommene Ablenkung in den aktuellen Zeiten. Gemeinsam sind wir durch Pécs gelaufen, haben viel geredet und Spaß gehabt.
Am Mittwoch, bei einem zusätzlichen Mentor-Meeting, ging es wieder um den Krieg in der Ukraine und die Konsequenzen für uns Freiwillige. Denn obwohl wir zum Glück erstmal nicht persönlich betroffen sind, und auch unsere Arbeit dies nicht ist, so leben wir halt doch im direkten Nachbarland der Ukraine. So ging es bei diesem Meeting auch darum, was im unwahrscheinlichen Fall passiert, sollten wir, aus welchen Gründen auch immer, in Gefahr geraten. Unsere Mentorin und auch unser Chef sagten uns, dass sie sich quasi permanent informieren, und unsere Mentorin hat wohl auch persönliche Kontakte in der Politik, so dass sie also im Zweifelsfall schneller an Informationen herankommen würden als andere. Aber was wären dann die Konsequenzen für uns? Die Antwort ist eigentlich simpel, trotzdem musste ich schlucken, als Hajni, unsere Mentorin, sie gesagt hat: Sachen packen und gehen. Die Mitglieder vom LIONS-Club haben sich wohl einverstanden erklärt, uns bei Bedarf mit dem Auto an die kroatische Grenze zu bringen. (Das ist die nächste Grenze von uns aus gesehen.) Wir hätten in dem Fall etwa 24 Stunden Zeit zu packen und loszufahren. Das dies tatsächlich eintritt, halte ich zwar weiterhin für sehr unwahrscheinlich, aber das so zu hören machte es schon irgendwie noch mal realer. Aber es ist natürlich besser einen Plan für so einen Notfall zu haben, als die Situation einfach zu ignorieren.
Ich bin gerade jetzt sehr dankbar, nicht alleine zu sein und versuche so gut es eben geht, meinen Alltag weiter zu leben und mir auch den Spaß nicht zu verbieten. Das würde ja auch niemandem etwas bringen. Was ist sonst noch so passiert? Wir haben seit Februar einen Sprachkurs an der Universität, das ist ganz witzig. (Und ich bin sehr dankbar, dass ich schon ein paar Wörter konnte, sonst wäre ich komplett verloren.) Außerdem versuche ich weiterhin herauszufinden, was ich nach dem Freiwilligenjahr machen möchte, und wir sind alle momentan ein bisschen dabei, den Sommerurlaub zu planen. Ach, und Muca war vor ein paar Tagen für zwei Tage verschwunden, was mich sehr gestresst hat. Mittlerweile ist er aber wieder gesund und munter zuhause. Es ist also im Moment wirklich eine sehr emotionsgeladene Zeit für mich. Trotzdem bin ich weiterhin froh hier zu sein, und freue mich auch auf die kommende Zeit. Morgen fahren wir zum Beispiel zu einer Tropfsteinhöhle. Und auch sonst gibt es noch viele Seiten von Ungarn, die ich noch entdecken möchte.