Als Mama zu Besuch war...
... Stockholm á la touriste...
Ich weiß noch, vor einem Monat etwa: im Pendelzug nach Norden raus bis Märsta und dann mit dem Bus bis Arlanda – Stockholm International Airport. Und dann noch einmal 20 Minuten im Flughafen warten. Dann kam Muddi hinter einer breiten Flughafentür hervor, lächelte über beide Ohren und bat mich, ihren Koffer zu schleppen.
Wir hatten zwei volle Tage, an denen ich mich zum ersten Mal in die von Touristen heimgesuchten Gegenden vorwagte, als da wären:
Frühstück in Gamla Stan
Gamla Stan ist hübsch. Gamla Stan ist fast schon märchenhaft, man betritt eine andere Epoche. Alte, schiefe Häuser, enge schattendurchflutete Gassen, beschwerliches Kopfsteinpflaster. Die historische Altstadt Stockholms sieht so gemütlich aus wie alte Disneyfilme. Es gibt eine Fussgängerhauptstraße, wo alle zwei Meter Souvenierzeugs verkauft wird. Touristen machen an jeder Ecke halt, holen ihre Kamera hervor und schlürfen weiter und glotzen die Häuser an. Im Irish Pub locken Bier und Fussballgucken – aber erst ab dem Nachmittag. Jetzt sind die Scheiben dunkel und die Stühle alle hochgestellt.
Am alten Markt sind alle in Plätze in den Cafés besetzt, schon morgens um 10, dort wo schon morgens um 10 eine lange Schlange vor dem Nobelmuseum den Marktplatz teilt. Der Kaffee ist normalteuer für die Verhältnisse in Stockholm, man lässt sich bei den Preisen auch länger Zeit und lässt die, die einen Platz an einem freien Tisch suchen, länger warten. Dazu gibt es, wie immer, Kanelbuller. Oder Blaubärkuchen! Oder etwas mit Schokolade.
An Gamla Stan direkt benachbartschaft liegt der Palast. Ein großes, rechteckiges, riesiges Haus mit hohen Fenstern und wenig Schnickschnack. Barock mit Flachdach und von weitem zu groß. Die Palastwache wird um Viertel nach 12 gewechselt. Mit Musikorchester und historischen Kostümen. Da können die Touristen dann wieder glotzen. Und im Innenhof zieht der Wind unendliche Bahnen.
Schärengarten
Alle Leute denken an Karibik, wenn sie im Sommer an Inseln denken, derweil ist das Inselarchipel um Stockholm genauso toll. Man sollte sich das nicht nehmen lassen: am besten mit richtig Kohldampf auf den Kutter und dann 3 Stunde raus auf’s Wasser. Einmal durch den Schärengarten pflügen und unter Deck richtig teuer Mittagessen fassen und draußen auf dem Deck Siesta machen, wenn die Sonne scheint und Möwen laut rufen. Etwa 35.000 Inseln gibt es um Stockholm. Der Schärengarten ist Poesie für die Augen, der Ort auf der Welt, der Neid verursacht, wenn man an den Ufern der Inseln zwischen Felsen und Bäumen und Wald und Himmel all die Häuser sieht, in denen fremde Menschen wohnen, nur man selbst nicht.
Auf dem Wasser dann unzählige Segelboote, ab und zu eines dieser großen schwimmenden Städte, wie sie an der Ems gebaut werden. Und ansonsten nur ruhiges Wasser, Leute an den Ufern, auf den Stegen oder sich sonnend auf Felsen liegend. Am Ende des Ausflugs hat man Sonnenbrand im Gesicht.
Skansen
Freiluft und Mittelalter. Wenn Gamla Stan die für Touristen geschmückte Altstadt ist, so ist Skansen das für Touristen zurechtgemachte Altland. Auf der Insel Djurholmen kann man in einem großen Freilichtmuseum original nachgebaute Bauernhäuser entdecken, wie sie es innerhalb der letzten Jahrhunderte in Schweden gab. Dazu originales Interieur, Harken, Spaten, Recken, Zangen und Hammer und Geräte, deren Namen wir schon längst nicht mehr kennen. Damit das wertvolle Utensil nicht wegkommt, sitzen in jedem Bauernhaus Aufpasser rum, in traditionellen Trachten und Klamotten gehüllt, damit sie nicht auffallen. Undercover sozusagen. Und weil Schweden groß ist, sorgt auch die vielfalt der ausgestellten Bauernhöfe für Kurzweile. Von alten Sami-Zelten aus dem Norden über Rentierherden, alles kann ohne Stress studiert werden. Es gibt nicht nur Bauernhäuser, sondern auch Handwerkshäuser, eine Druckerei, eine Bäckerei und eine Gläserei, die ihre Türen für Besucher öffnen.
Kaknästornet
Das, was so nach crunchy Knäckebrot klingt, ist in Wahrheit 150 Meter Stahlbeton, der sich in den Himmel streckt. Der Fernsehturm Stockholms, in dessen innerem sich in 130 Metern Höhe ein Restaurant und ein Café befinden. Richtig gelesen! Im Gegensatz zu Hamburg kann man da nämlich rauf und die Stadt von oben betrachten und feststellen, dass das Gefühl recht hat, wenn es mir immer sagt, dass Stockholm recht klein sei. Man kann seinen Blick von Lappis über Gävle bis Östermalm schweifen lassen, von dort weiter hinter Djurgarden und Gamla Stan bis Södermalm. Alles liegt einem präsentiert. Und am Horizont landen und starten die Flugzeuge in Bromma (der Cityflughafen).
Das Restaurant hat eine kleine, aber feine Auswahl an Mittagessen zu bieten. Für 100 Kronen gibt es dazu unbegrenzten Zugang zum Salatbuffet und zur Wassergaraffe, in denen Melonenstückchen schwimmen, die wegen Lichtbrechung und Wölbung des Gefäßes unappetitlich riesig aussehen.
Dem Fernsehturm umweht auch ein Hauch von Prophetismus: im Fensterbrett ist mein Name eingraviert. Jemand wusste, dass ich eines Tages von oben wie der liebe Gott hinunterblicken werde.
Vasamuseum
Das Vasamuseum ist eines der Highlights touristischer Aktivitäten. Es dreht sich alles um ein altes, riesiges Schiff, einst vom König bestellt, prächtig erbaut, ein Stolz aus Holz und doch zum Untergang verdammt, konstruktionsbedingt nach 100 Metern Jungfernfart gesunken irgendwann im 17. Jahrhundert. Dort lag es und verfaulte nicht, konserviert im Schlick und Schlamm wurde es in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geborgen – und über 30 Jahre lang restauriert.
Heute dreht sich im Vasamuseum alles um das Boot. Es stellt die Besatzung vor, wie man anhand forensischer Forschung Alter, Geschlecht und Krankheiten ermitteln kann, welche Farbe die Klamotten damals hatten und wie man so ein Boot überhaupt baute, denn es ist riesig. Fünf, sechs Stockwerke hoch (ohne Mast). Und wie das Leben an Bord aussah und welchen Sinn so eine protzige Handelskämpferyacht überhaupt hatte. Wie Schweden zu der Zeit aussah, welche geschichtlichen Hintergründe zur Herstellung dieser Fregatte führten. Es ist eines der interessantesten Museen dieser Stadt, weil es interdisziplinär und dabei sehr sehr aunschaulich und begreifbar ist. Und welche chemischen Tricks man benötigt, um so ein altes Boot heute so ausstellen zu können, dass das Holz nicht verfault.
Wir haben viel gesehen, meine Mom und ich und sie hat sich so super mit meiner Gastfamilie verstanden, dass es mir eine Freude war. Nach zwei Tagen brachte ich sie dann zum Flughafen. Es war ein Mittwoch und der Himmel war etwas vergraut. Und weil sie einen so frühen Flug gebucht hat, mussten wir ganz früh aufstehen, den ersten Bus nehmen um halb sechs Uhr morgens – es war grausam.
So eine typische Mama-Aktion eben.