2 Die Vorgeschichte Teil 1
Die Ideen gehen ihm aus, er kann nicht denken, nicht den richtigen Schachzug setzen, naja, Schach hatte er ja auch in der Schule nicht spielen gelernt, nicht einmal hier in Armenien, während seines Deutschunterrichts....
Nun, endlich hat er die Worte auf sein Handy geschrieben und versandt oder versendet, wie auch immer das richtige Wort nun lautet. Hauptsache, er hat die richtigen Worte gefunden, nicht nur ein langweiliges „Du amenalavn es“ oder „Jes kez sirum em shat“, denn diese Floskel-Scheiße kann er jetzt wirklich nicht gebrauchen. Stattdessen will er lieber eine gute Idee finden, auf die sie nicht einfach mit einem langweiligen „Du auch“ antworten kann. Er erinnert sich an einen Moment, damals im Bus, in der Mashrutka von Garni nach Yerevan, damals, nun so lange war es nun auch wieder nicht her, und doch erscheint ihm jeder Tag so lang, weil er sie 14 Tage nicht sehen kann.
Wie war das gewesen, bevor sie zum Kinderbahnhof gegangen sind? Das war ja fast noch krasser, fast noch unglaublicher als in Garni. Klar, Garni hatte die schönste Landschaft, neben Hemeln natürlich, kleiner Scherz, er will jetzt keine abwegigen Gedanken von irgendwoher holen.
Hemeln liegt nun wirklich am anderen Ende der Welt, aber doch ist es schön wie ein Märchen, zumindest für Susan, vielleicht hatte er ihr irgendwelche Märchen erzählt. Das lässt ihn ein bisschen grimmig sein, denn die Brüder-Grimm-Märchen kennt er noch nicht einmal auswendig.
Also, lieber nicht abwegig denken und den Tunnelblick wieder denken lassen?, fragt er sich.
Nun, im Tunnel hätte er wirklich einen Piss auf alles, wie schon dem Geruch nach zu beurteilen einige Leute zuvor getan haben, geben können. Beinahe hätte er das auch getan, wäre da nicht dieser eine Anruf gewesen.
Klingeling. Sein Telefon klingelt. Stop! Ja, tatsächlich, nicht die Erinnerung aus dem Tunnel, sondern sein Handy, fast hatte er die deutschen oder nichtdeutschen-deutschen und nicht-englischen-englischen Wörter hier schon vergessen.
Klingelingeling! Wo bist du?
Tja, wo bin ich, das war die Frage!
Die Antwort auf diese Frage lautet irgendwo Zuhause, irgendwo im Zentrum vom Nirgendwo, dessen Namen er sich niemals merken kann.
Wie heißt dieses komische Gebäude hinter den Wasserfontänen nochmal?
Ja, hier, an diesem unaussprechlichen Ort, war er bei der Uhr und hier hatte er zu warten, zu warten, ob er sie finden würde, so wie damals, damals in Berlin, die erste Geschichte seiner Reise nach Armenien.
Er sieht den Jungen an. Soll er ihn ansprechen?
Vielleicht. Ok, kann ja nicht schaden. Wo lang geht es zur Weltzeituhr?
Der Junge sieht ihn an als denkt er sich nur: „Wo lang geht es zur Welt“? Plötzlich sagt er, da geht es lang. Da geht es lang.
Hey!
Fast wäre er in Berlin auf die Schnauze gefallen, umdrehen, ja, da ist die Weltzeituhr und er hat alle Zeit der Welt. Der Junge hatte ihm in der heißen Sommersonne hinter das Licht führen wollen, Sebastian war direkt auf die Weltzeituhr, die man eigentlich nicht übersehen konnte, zugegangen. Verrückte Welt. Nun, egal, er hat alle Zeit der Welt.
Alle Zeit der Welt wie es scheint, so wie der andere junge Mann, der dort scheinbar seelenruhig wartet. Er selbst aber, Sebastian, er hat nicht die Geduld seines Gegenübers.
Soll er ihn fragen, was er hier macht? Vielleicht hat er ja irgendwie und irgendwo oder durch irgendeinen Zufall von dem Mädchen gehört?
Die Welt kann klein sein, zumindest ihre nachgebaute Kugel über der Weltzeituhr.
Nein, entschließt sich Sebastian, so einen Zufall kann es dann ja doch nicht geben. Die Welt war zwar klein, aber nicht so klein und schon gar nicht in einer Hauptstadt, in Berlin, wo ja mehr Leute als in ganz Armenien leben.
Nun steht er hier in Berlin und weiß nicht wo er hinwill, außer nach Armenien, nach Gyumri. Das kann doch nicht wahr sein! Da fährt er vier Stunden lang Bus bei der Hitze und jetzt muss er hier auch noch warten. Wenn die Zeit doch bloß wie im Flug verginge, denkt er sich. Er weiß nicht, dass er diesen Gedanken später noch einmal bereut.
Endlich, fast hätte er sie übersehen, aber seine große Erleichterung tritt ein, als die kleine Rebecca ankommt.
Nun, sie kommt nicht allein, sie kommt in Begleitung, in Begleitung eines Mädchens, dass angezogen ist, als wäre sie gar nicht angezogen, zumindest auf den ersten Blick, für Männer, wie sich versteht. Rebecca erzählt also tatsächlich dass sich Marina, so heißt das Mädchen, dessen Kleid von weitem aussieht als trüge sie keine Kleider, sich neue Kleidung gekauft hat und sie mit ihr zusammen unterwegs war. Nicht nur Marina überrascht ihn ein bisschen, dort ist noch jemand anderes.
Ein Junge, den er schon lange Zeit zu kennen scheint, den er zumindest schon lange gesehen hat, denn sein Gegenüber an der Weltzeituhr ist doch tatsächlich ein Freund von Rebecca, ein armenischer Freund noch dazu, wie klein diese Welt doch ist!
Nach ein paar Ausflügen in die Läden, nicht nur wegen Marina, wie ihm jetzt klar wird, ist es endlich so weit. Sie sind allein. Die beiden Einkaufsliebhaber Levon, so der Name des Jungen, und Marina gehen gemeinsame Wege, zumindest auf gemeinsamen Wegen, wobei vielleicht auch mehr als nur ihre vier Beine zwischen den beiden Freunden laufen könnte. So wie Seb und Reb, diese Namen hat er sich gedanklich für sie ausgedacht.
Es läuft alles oder auch nichts in dieser Hitze. Ok, sind wir mal ernsthaft, denn es ist keine Zeit für Witze.
Das Gedicht wird ausgepackt und dann beginnt er zu lesen, er hätte auch einen Roman schreiben können, aber ein Gedicht fand er irgendwie romantischer, nein, freundlicher. Wie gesagt, Rebecca ist einfach nur eine Freundin, die, wenn er sich nur ihren Pulli und ihre Größe anschaut, wie eine menschliche Zitronen auszusehen scheint. Er liest und genießt die zugleich nervige Sonne, sie sehen sich das Brandenburger Tor an, essen ein bisschen, aber keine Berliner, er ist ja Vegetarier. Naja, im Mc Donalds scheint Rebecca jan eiskalt auf eine Bedienung zu warten, wobei es ausgerechnet an diesem heißen Tag kein Eis gibt, genauso wenig wie vielleicht einen Mc Donalds in Armenien.
Die Zeit vergeht dann plötzlich schnell und auch auf den Weg nach Wu-lett-aij, um Wuhletal wie Rebecca auszusprechen, wobei der Name zu einigen Schwierigkeiten geführt hat, läuft am Ende alles rund. Naja, laufen werden wohl eher die wenigsten Leute in dieser heißen Stadt, in der Rebecca, Marina und Levon angeblich nur kalte Leute treffen. In Berlin. Naja, in Yerevan sind 40 Grad im Sommer schon so etwas wie ein Normalfall, vielleicht mag es daran liegen. Wie das meistens mit Reisen ist, geht wieder mal alles zu schnell oder auch zu langsam. Das Berliner Verkehrsnetz ist wieder einmal ungefähr so schnell wie die Bauarbeiten am Hauptstadtflughafen, die ja nun wirklich nicht gerade wie im Flug vergehen. Naja, aber bevor wir jetzt über so brennend interessante Themen wie den Brandschutz an Flughäfen diskutieren, fahren wir lieber mit der Geschichte fort, die ja eigentlich noch gar nicht begonnen hat. Sebastian kommt also in Berlin an, chillt ein bisschen mit Rebecca in der Stadt herum und kommt nicht zurück.
Oh shit! Die Bahn fährt nicht, der Ersatzverkehr ist etwa so schnell wie der gemeinsame Spaziergang von Schnecken und Faultieren, was an diesen Sommertagen wahrscheinlich bei einigen Paaren im Park oder im Zoologischen Garten der Fall ist. Also kann Sebastian sich erst einmal tierisch über das Schneckentempo des Ersatzverkehrs aufregen und den Weg zurück in die Zukunft gehen, auch wenn nicht mehr ganz klar ist, wie oft er Rebecca in der Zukunft tatsächlich sehen wird.
Wie das so ist, können die Berliner Schnauzen auch anders, und bieten ihm, als Gast von Levon, einfach mal einen kostenlosen Schlafplatz in einer Art Jugendherberge an. Der Weg von Marzahn nach Marzahn dauert zwar ungefähr so lange wie wenn Cindy aus Marzahn versuchen würde einmal durch Marzahn zu joggen, aber wenigstens steht jetzt ein chilliger Abend bevor und vielleicht auch eine lange Nacht, aber nein, Sebastian schläft bei Levon, auch wenn Marina ihn fragt, ob er bei Rebecca schlafen will, oder sich vielleicht innerlich fragt, ob sie bei Levon schlafen kann, Interpretationen lassen wir mal freien Lauf.
Tja, wie das so ist in Berlin geht es nicht wie im Flug voran und Sebastian vercheckt den Abschied von Rebecca, aber immerhin, er sieht sie bald wieder, in Gyurmi. Wenn er schon nicht checkt, wie man schnell ein Busticket bekommt, immerhin checkt Rebecca wahrscheinlich den richtigen Flug ein. Den Rest der Geschichte kann sich jetzt jeder selbst zusammenreimen, oder mit Sebastians Worten gereimt:
I want to write you the most important poem ever today,
I try to apologize for all your worries yesterday,
Rebecca jan, I never want you to worry and feel any pain,
I am more sorry than all my words can explain.
Yesterday at the same time you had to leave Berlin
, all was still fine but than a hard time had to begin,
we lost us and you started worrying,
I didn t say bye when you were leaving
If I could I would change the moment into past,
if I could I would change today to yesterday,
yesterday our time together really ended too fast,
next time, I will accompany you on every way.
Re- Rebecca jan, I feel re-respect and re- revelence when thinking of you,
I think of Be-Be- best moment, Be-Berlin and your be- beauty too,
c-convincing plans, c-courage, c-confidence and the C-caucasian mountains,
a-amazing places you make me go to, and an a-amusing that never ends.
Rebecca, jan, you re really a hero for me,
Rebeca jan, I m thankful I can go to YIC,
Rebecca jan, I wish you the best wishes ever,
Rebecca jan, I will really forget you never!!!!!!!!!!!!!!!!
Ob Sebastian Rebecca niemals vergessen wird ist eine andere Frage, die wir hier nicht ausdiskutieren sollen. Gehen wir lieber voran, voran zum Anfang, zum Anfang der Geschichte von Susan und Sebastian. Eine Geschichte voller Licht, selbst im Tunnel, denn wie drückt Susan es später einmal aus, Sterne können sogar tagsüber scheinen!
Jetzt erinnert sich Sebastian an diesen Moment und an den Anruf und an die SMS und er findet die richtigen Worte, die mehr sind als ein „jes kez sirum em shat“ und er findet den Weg zur Uhr, wie damals und er findet den Weg zu Susan.