[2/3] 2.511 Kilometer
(Teil 2 von 3) Siebzehn Tage, sieben Länder, elf Orte, pi mal Daumen drei Stunden Schlaf insgesamt, eine Millionen Bilder, Menschen und Eindrücke, eine veränderte Lena. Das ist meine Bilanz.
// Teil 1 //
Meine Vorfreude auf Montenegro wurde schon auf der Busreise bestätigt. Was für ein Panorama, das kann ich euch gar nicht beschreiben - verschneite Berge, steinige Klippen, klare blaue Seen und Flüsse, kurvige Landstraßen, kleine Fischerdörfer, dichte Wälder… ja, es war eiskalt und ich übermüdet, und doch habe ich mich keine Sekunde dabei gelangweilt, aus dem Fenster zu schauen.
Die größte Stadt?
Podgorica selbst ist als Hauptstadt fast schon lustig, nicht viel größer als Recklinghausen. Erstmal erwartete mich ein Drama mit dem Hostel, Hostel Clock Tower. Google Maps führte mich zum Uhrturm, das Hostel war nicht zu finden. Restaurantbesitzer dort kannten es nicht, Anwohner kannten es nicht, nicht einmal Taxifahrer (!) wussten von der Existenz dieses Hostels. Nach zwei Stunden Suche und mit zwölf Prozent Handyakku gab ich schließlich entnervt auf und mietete mich woanders ein. Nicht besonders schön und der Besitzer sprach nur ein paar Worte Englisch, aber was solls, ich hatte ein Bett, ein Schließfach, einen Schlüssel und Ruhe. Ich weiß bis heute nicht was mit dem Hostel Clock Tower passiert war - es hatte erst zwei Wochen vorher tolle Bewertungen bekommen.
Trotz Erschöpfung ging es dann doch nochmal in die Stadt. Und ich kam mit zwei Erkenntnissen zurück: erstens, die Leute aus Montenegro wärmen mein Herz, sie sind so lieb. Obwohl kaum jemand viel Englisch spricht. Der Hostelbesitzer wünschte mir immer nette Dinge auf Französisch, die ganze Bar versuchte vereint mir ein Hostel zu finden und schrieb mir verschiedene Adressen auf eine Serviette, der Restaurantbesitzer füllte mir kostenlos meine Wasserflasche auf, die Bäckerin fragte mich über meine Reise aus, der Typ am Bahnhof wollte unbedingt ein Selfie und zeigte mir mit lautem Rufen in welchen Zug ich steigen muss, überall übersetzten Gäste für mich wenn die Läden nicht mehr weiterkamen, und als mir im Fast-Food-Restaurant plötzlich klarwurde, dass ich kein Bargeld dabeihatte, bestand die Bedienung darauf, mir das Sandwich kostenlos zu geben.
Und zweitens: wie konnte man mir nur sagen, dass Podgorica sich nicht lohnt? Durch die Stadt fließen zwei klarblaue, fast komplett natürlich belassene Flüsse, sie ist voller traumhafter Parks und da ist die Stara Varos, ein Bezirk, in dem ich mich wieder wie in Venedig fühlte, voller kleiner Gassen, pastellfarbener Architektur und offener Gärten. Gut, das Stadtleben ist enttäuschend für eine Hauptstadt, aber wenn man diese Erwartung ablegt, kann man sich hier an einem Frühlingstag so wohlfühlen.
In die Natur
Am endlich strahlend sonnigen Samstag nahm ich einen Bus nach Virpazar, um im Skadar Naturreservat zu wandern. Und… wow. Wie soll ich das in Worte fassen? Ich kann euch so viel sagen, der Skadarsee ist ein riesiger, natürlicher See, der bis nach Albanien reicht und Heimat für unzählige Fisch- und Vogelarten ist. Ihn umringen Berge, Klippen, Wälder, Hügel und kleine Fischerdörfer. Aber weder diese Beschreibung noch Fotos fangen den Geschmack der frischen Luft ein, oder das Geräusch meiner Schritte und der Vögel, oder den Geruch der Pflanzen, oder das Gefühl, wenn man einen felsigen Hügel ganz hochklettert und dann dort oben mit seinem Rucksack steht, mit erschöpft prickelnden Armen und Beinen in die Sonne blinzelt und das Panorama überblickt.
Sieben oder acht Kilometer bin ich gewandert, und dann beschloss ich, mein Budgetleben einmal über den Haufen zu werfen und mir zur Abwechslung mal eine richtige Mahlzeit zu gönnen. Hat sich gelohnt. Der Barsch wurde wahrscheinlich erst am selben Tag gefangen, so lecker! Danach ärgerte es mich nichtmal, dass der Zug zurück nach Podgorica am sehr kleinen Bahnhof eine Stunde zu spät kam, vor allem weil mir ein Montenegriner die Zeit mit Selfies und Schokolade vertrieb.
Unberechenbare Fahrten
Nicht ganz so entspannt ging es weiter, an das Ziel, das mir von Anfang an die meisten Kopfschmerzen bereitet hat: Albanien. Ich wusste ja von vornherein, dass Tirana weder einen Zug- noch einen Busbahnhof hat und die Busse ihre Gäste einfach irgendwo in der Stadt rausschmeißen. Dass dieses irgendwo allerdings vier Kilometer vom Zentrum entfernt sein würde, hatte ich nicht erwartet… aber nein, ich bin zu geizig zum Taxifahren, selbst hier! Also irgendwie in einem kleinen Café ein paar albanische Lek mit den Gästen eintauschen und loslaufen.
Trotz Erschöpfung erkundete ich die Stadt nach meiner Ankunft noch etwas im Sonnenuntergang. Was für ein Kontrast zu Montenegro. Von allen Orten, die ich je besucht habe, erinnerte es mich am ehesten an… New York City. Der Verkehr ist aggressiv, laut und tödlich, die Architektur riesig, die Stadt voller Beton mit urplötzlich auftauchenden Grünflächen, die Cafes voll mit den verschiedensten Leuten. Es ist toll!
Ungewohnte Gesellschaft
Am nächsten Morgen tauchte ich pünktlich zur Walking Tour auf und lief fast dran vorbei, denn… die Teilnehmer waren alle über 70. Drei Omas aus Schweden und ein Mann aus Italien. Was erstmal seltsam begann, stellte sich dann irgendwie als total herzerwärmend heraus, die drei Seniorinnen bequatschten mich (mit problemlosen Englisch!) und wollten mir sogar ein Mittagessen ausgeben. Irgendwie auch nett.
Stattdessen ging ich allerdings in den großen Park und lag sicher eine Stunde in der Sonne. Langsam setzte bei mir eine langfristige Erschöpfung ein - Millionen Eindrücke und Erlebnisse jeden Tag und kaum Zeit für ausreichend Schlaf, geschweige denn um sie zu verarbeiten. Hui.
Reisegeldbeutel
Danach lief ich noch durch einen wunderschönen Wohnbezirk zurück und genoss die letzten Sonnenstrahlen. Oh, und tauschte etwas Geld für mein nächstes Ziel. Mein Portemonnaie war ein Zeuge dieser verrückten Aktion - Euros, rumänische Lei und Bani, ein paar übriggebliebene konvertible Mark aus Bosnien, zwei Forinth-Scheine von Esther - getauscht gegen Euro weil sie das noch von ihrem Ungarn-Trip übrig hatte -, albanische Lek und nun auch genug mazedonische Denar. Dazwischen Organspendeausweis, Bankkarte, Ausweis, Glücksbringer, Krankenkassenkarte und etwa eine Millionen Erinnerungen in Form von Kassenbons, Eintrittskarten, Bustickets… kurz gesagt also keine Chance!
Abends traf ich in einem Café Marin, der aus Albanien kommt. Über die Geschichte des Landes wusste er nicht viel. :D Über das Leben in Tirana heute dafür umso mehr - die Bars lassen teilweise keine Männer ohne weibliche Begleitung rein, ahaha - und die ökonomische Situation - IT ist so ziemlich die einzige finanziell lohnenswerte Branche, ähnlich wie in Rumänien also. Er zeigte mir auch noch etwas von der Stadt bei Nacht und brachte mich zum See - ohh, ist der schön, wenn die Skyline der Stadt darauf reflektiert ist.
Ans Meer!
Dienstag beschloss ich spontan, noch eine Nacht in Tirana zu bleiben, denn Albanien ist schön! Ich unternahm einen Tagestrip an die Ostküste nach Durrës. Hui, die Fahrt dahin - am Hostel hat man mir schon erzählt, dass ich zu einem Kreisverkehr gehen muss, wo die Fahrer dann schon “Durrës, Durrës” rufen. Dass man dann aber einfach in deren Auto steigen soll… überraschte mich doch. Hätten mir nicht mehrere Einheimische und die Leute vom Hostel gesagt, dass das okay ist, wäre ich vielleicht lieber in Tirana geblieben. Letztendlich war es dann auch total okay. Und Durrës. Oder eher, das Meer. Ich wusste gar nicht, dass ich es vermisst hatte. Die Stadt erinnert an einen typischen Touristenort in Spanien, die Strandpromenade voller teurer Restaurants, die Küste voller Hotels. Aber für einen Tagestrip kann man das alles ja ignorieren und am Sandstrand bleiben.
Später traf ich mich mit Dinho, ein lokaler Bartender, der mir einen Strand zeigte, den ich sonst nie gefunden hätte. In so einer Touristenstadt ist das Leben ganz anders als im pulsierenden Tirana, besonders im Winter…
Nun habe ich einen neuen Reisewunsch: in Sarajevo beginnen und dann mit dem Wohnwagen durch Südbosnien, ganz Montenegro und Nordalbanien bis Tirana.
Weiterfahrt mit Zwischenfällen
Gegen acht kauften wir uns lokale Erdbeeren, ein Traum, und ich fuhr im Sonnenuntergang in einem richtigen Bus (!) zurück. Der setzte mich noch weiter weg vom Zentrum ab, toll… also rannte ich praktisch in die Innenstadt, bevor das letzte Reisebüro schloss und ich kein Ticket nach Skopje mehr hätte ergattern können. Klappte haarscharf! Zum Abschluss traf ich Marin noch einmal, und es wurde so spät, dass ich am nächsten Tag im Grunde ganz ohne Schlaf um sechs Uhr morgens in den Bus stieg.
Da war es keine schöne Überraschung, um zehn aus dem Schlaf und aus dem Bus geworfen zu werden, in… Kosovo? Ohje - niemand hatte mir gesagt, dass ich hier umsteigen muss. Nunja, wie so oft hatte ich keine Wahl als das irgendwie hinzukriegen, obwohl mir regelrecht übel vor Erschöpfung war.
Skopje erwartete mich dafür mit strahlendem Sonnenschein und einem richtigen Busbahnhof, hach. Wie es mir dort gefallen hat, lest ihr bald!
// Teil 3 //