Fremde der Nacht
Beim Versuch meine Gedanken wegzutanzen und durch eine exzessive Nacht in Köln alles um mich herum zu vergessen, geschieht das Gegenteil. Ich analysiere das junge Publikum und komme ins Gespräch mit einem Westafrikaner. Die dicken kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Mauern zwischen uns machen die gemeinsame Wellenlänge unmöglich. Ich verzweifle an zwanghafter political corectness und den Gedanken über unsere Weltpolitik. Ein Abend endet im Gedankenchaos, statt in freiheitlicher Tanzextase.
Der Abend war gekommen, an dem mir schlagartig bewusst wurde, wie lang ich nicht mehr tanzen war. Ich wusste heute Abend musste ich endlich wie früher alles um mich herum vergessen, mich betrinken und die Nacht wegtanzen. Doch im Club war ich alt, umgeben von blutjungen Mädels, die ich auf vierzehn schätze. Vermutlich waren sie Volljährig. Ich verdänge den Gedanken, dass Menschen, die 1998 geboren wurden, schon sechzehn sind. Diese Rechnungen katapultieren mich stets in eine saftige Quater-Live-Crisis, die kein Mensch gebrauchen kann und aus der man niemals mit schlauen Erkenntnissen rauskommt.
Die Hände der Mädels streiften auffordernd über die eigene Siluette, während die Hüften die Luft massierten, mehr oder weniger im Rhythmus. Sie riebeen sich aneinander, tranken, rauchten, lachten das ausgelassene Lachen der Jugend, stolz darauf sich auszuleben. Der voluminöse Klang von Saxophon, Trompete, Bongos und Gitarren kann den Körper überwältigen, ohne dass der Geist sich mit den Texten auseinandersetzt. Die betrunkenen Gespräche über Weltschmerz, der die Bands kreativ macht, führen zu nichts als Verwirrung. Besser man hört gar nicht hin. Aber ich stehe da, tanze nicht. Ruhigere Reggae Rhythmen erklingen. Die Meisten machen eine Trinkpause. Die dunkelhäutige Bevölkerungsgruppe mit Migrationshintergrund beginnt zu tanzen. Geschwungener, runder und selbstverständlicher, als die Weißen. Ich schaue sie an und denke an ihre Kultur und ihr Land, was sie hinter sich gelassen haben, um hier Geld zu verdienen. Welch bäuerliches Klischee! Vielleicht sind sie ja hier geboren und Kölscher als ich. Ich wippe ein wenig und frage mich, was ihnen die Musik bedeutet. Rastafari. Ich finde mich bald gedankenverloren am Rand wieder und werde von einem dunkelhäutigen Mitbürger angesprochen. „Er will mich anmachen“, denke ich und hasse mich für meine Vorurteile.
„Hey, do you speak english?“
„Yes a little bit!“
Er macht auf Deutsch weiter.
„Bist du von hier?“
„Nein, ich komme aus Leipzig!“
Ich höre mich das sagen und lache mich aus. Wow, aus Leipzig, Mensch, so weit weg.
„Und du? Kommst du von hier?“
Absurd, was für eine Frage! Er kämpft sich einen ab mit seinem Deutsch, weil er mir entgegen kommen will und ich frage, seine Hautfarbe und seinen starken Akzent ignorierend, betont vorurteilsfrei, ob er aus Köln sei.
„Nein, ich komme aus Westafrika, ich bin seit 10 Jahre in Deutschland“
„Ahh, krass, das ist ja weit weg!“
Ja, klar, weit weg. Welch exotisches Land. Moment mal, ist ja gar kein Land sondern eine Region. Geht er davon aus, dass ich sein Land nicht kenne? Westafrika, wie es da wohl riecht und wie man dort miteinander redet? Gibt es da auch solche Clubs wie hier? Ich tue unbeholfen, als hätte er sich Deutschland aus Spaß ausgesucht, eine Wahlheimat, weil es hier so schön ist.
„Gefällt es dir hier?“
„Ja, aber meine Familie ist noch dort, ich bin allein. Studierst du?“
Ob er den Fragenfokus absichtlich schnell wieder auf mich lenkt?
„Ja, Geschichte, Politik und Romanistik.“
„Ach Politik“
Ich meine einen nachdenklichen Blick in seinen Augen zu vernehmen. Ja, Politik, denke ich. Das was zwischen uns steht, neben Geschichte, Kultur, Gesellschaft und Unwissenheit. Ach ja und Wirtschaft. Eigentlich steht so ziemlich alles zwischen uns, eine Mauer aus Ignoranz, Vorurteilen, Berührungsangst und Vorsicht.
„Ja, das ist gut so was zu studieren“, sagt er und ich lache.
Lachen wirkt doch immer enthemmend. Schweigepause. Er fragt ob ich mit ihm einen rauchen will. Ich erkläre, dass ich nicht mit ihm raus gehen werde. Ich lüge, dass ich mit meinem Freund zusammenwohne, der gerade hier ist und kickert. Fronten geklärt. Dabei hasse ich mich schon wieder, aufgrund meines Selbstverständnisses sein Sexobjekt zu sein. Rassistin! Dann schwebt die Frage nach dem Studium noch im Raum und nach hin und her überlegen erkundige ich mich schließlich.
„Und du? Studierst du?“
„Nein, ich arbeite. Gabelstabler.“
Verdammt, hätte er nicht unseren Vorurteilen zum Trotz Jura studieren können? Stattdessen ein Flüchtling oder eben Mensch mit Migrationshintergrund, der sicher nicht zufällig in der einzigen Disco mit freiem Eintritt ist. Vielleicht ohne Aufenthaltsgenehmigung. Kann wahrscheinlich nicht studieren, weil er Geld für die Familie braucht. Weltpolitik. Ungerechtigkeit. Ungleichheit, die meine Industrienation ausnutzt und nur zu ihrem Gunsten beeinflusst. Mein Reichtum basiert auf der Armut seiner Familie, weil deren Land unseren Firmen gehört. Wir schicken lieber Spenden, die wir von der Steuer absetzen können und waschen uns damit noch grün, anstatt echte Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. All diese Barrieren zwischen uns. Der unterschwellige Gedanke, ich interpretiere seine Blicke richtig und er will mit mir schlafen. Ich denke an die Tänze der Afros auf den Dancehall-Partys, wo die Frauen ihren Hintern am Schritt des Mannes reiben, sich bücken und der Mann Bewegungen macht, deren kultureller Ursprung wohl ein Fruchtbarkeitstanz ist. Ein Tanz, der nur noch im Museum existiert, weil die Afrikaner schon lange nicht mehr „die Afrikaner“ sind und noch nie waren, weil viele Stämme gar nicht mehr existieren und die meisten in Megacitys leben. Weil sie selbst nicht mehr wissen, warum sie diese obszönen Tänze machen. Weil der christliche Glaube, das Handy und der Hamburger ihre tägliche Kultur wesentlich mehr ausmachen, als Voodoozauber und Fruchtbarkeitstänze. Und doch tanzen sie so und ich empfinde das aufgrund meiner Herkunft als sexistisch. Dabei tanze ich auch mit meinen Hüften, womit auch sonst. Tanzen macht man mit dem Körper und vielleicht mit Seele, so wie bei gutem Sex, auf keinen Fall Kopf und Verstand, das hindert nur. Warum verurteile ich den sexuellen Tanz. Letztlich hat man beim schmutzigsten Tanz keinen echten Sex, also was soll’s. Bei all der Grübelei wurde ich tanzunfähig. Ich bin keine ausgelassene 16 mehr und kann anscheinend keinen Spaß mehr haben. Spaß. Luxus.
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