Mein Zuhause
6 Monate Freiwilligendienst in Taiwan.
Eine andere Kultur und neue Menschen kennenlernen. Eine ganz neue Erfahrung beginnt fuer mich !
Werden die Menschen dort so anders sein, wie ich es mir vorstelle ? Was erwartet mich in meinem Projekt ? Werde ich mich veraendern ?
Mein Zuhause
Fast jeder Tag beginnt gleich. Wir wachen auf, machen uns fuer die Schule oder die Arbeit fertig; wenn wir Zeit haben fruehstuecken wir noch eine Kleinigkeit und dann geht es auch schon los. Unser eigener Alltag ist allein schon so stressig, warum dann also Gedanken machen ueber andere Laender, andere Menschen und deren Alltag ? Kann uns doch egal sein oder ? Es ist ja schliesslich nicht unser Zuhause.
Schalten wir nach einem anstrengendem Tag die Nachrichten ein, werden wir ueberflutet von grausamen Meldungen: Vergewaltigungen, Morden, Bombenanschlaegen, Kriegen. All’ diese Dinge bestaerken uns in dem Gedanken, dass es ausserhalb unserer Umgebung alles andere als sicher ist. Nach diesen furchtbaren Nachrichten legen wir uns ins Bett und wenn wir dann am naechsten Tag aufwachen, geht der Kreislauf wieder von vorne los. “ Wir sind doch hier in Deutschland ”, werden einige sagen, “wir koennen uns doch nicht fuer alles interessieren”. Eine Sache aber kann jeder tun. Ein Bewusstsein schaffen. Ein Bewusstsein dafuer, dass man selbst gar nicht so anders ist wie die anderen Menschen und diese widerrum gar nicht so anders sind wie man selbst. Wir wissen viel ueber unsere Unterschiede zu anderen Menschen, doch so gut wie gar nichts ueber unsere Gemeinsamkeiten, die wir alle haben. Wir versuchen immer wieder zu betonen, wie anders jemand ist, vergessen dabei aber naeher hinzuschauen und die viel wichtigeren Gemeinsamkeiten zu erkennen. Wuerden wir das verstaerkt tun, wuerden uns wohl eine Menge Missverstaendnisse untereinander erspart bleiben. All’ die schlimmen Nachrichten, die wir tagtaeglich aus aller Welt hoeren sind die Wahrheit – ein Teil der Wahrheit. Den anderen Teil der Wahrheit, eine wunderschoene Natur, eine faszinierende Kultur und herzliche Menschen, verdraengen wir gerne und sehen nur das Grauenvolle. Das liegt wohl daran, dass Menschen heutzutage eher zu Pesimissmus neigen. Es ist schrecklich, wie viel sich die Menschen beeinflussen lassen und dabei immer mehr die Faehigkeit der persoenlichen Wahrnehmung verlieren. Nun ja, es ist natuerlich auch einfacher sich auf ein vorgefertigte Meinung zu stuetzen, als sich eine eigene Meinung zu bilden. Generell fehlt es vielen Leuten an Interesse. Es gibt wenige, die sich noch fuer etwas begeistern koennen und daran dann auch festhalten. Lieber lassen sie sich etwas einreden oder sich entmutigen, ohne wirklich fuer das Einzustehen was sie wollen.
Als ich das erste Mal von meinen Plaenen erzaehlte, nach dem Abitur ins Ausland zu gehen, hielten das noch viele fuer eine Phase. Eine Euphorie, die schnell wieder vorüber geht. Doch ich hielt daran fest. Ich wollte mir das von niemanden ausreden lassen. Ich hatte meine eigenen Vorstellungen, Plaene und Ideen. Nach dem Abitur wollte ich nicht sofort studieren oder eine Ausbildung beginnen. Ich hatte das Gefuehl, dass wenn ich jetzt nicht etwas wage und in eine neue Umwelt eintauche, werde ich fuer immer in meinen Vorurteilen stagnieren und dabei ist es doch so wichtig sich selbst eine eigene Meinung zu bilden. Ich wollte nicht nur in ein Land reisen und Tourist sein. Ich wollte in einem anderen Land leben, einen Alltag haben und wissen wie es sich anfuehlt fuer ein paar Monate ein Teil einer anderen Gesellschaft zu sein. Ich beschloss also fuer 6 Monate nach Taiwan zu gehen. Viel wusste ich zu dieser Zeit noch nicht ueber diese Insel zwischen China, Japan und den Philippinen. Umso mehr reizte es mich eine Menge ueber Taiwan zu erfahren. Fuer mich stand von Anfang an fest: Wenn ich ins Ausland gehe dann nach Asien. Ich wollte die fernoestliche Kultur erleben, etwas ganz anderes zu der westlichen Kultur aus der ich komme.
Mit dem Gedanken unvoreingenommen und bereit fuer eine neue Kultur zu sein, stieg ich dann Ende Februar 2013 in das Flugzeug mit dem Ziel: Taiwan – Ilha Formosa*.
Heute weiss ich, sechs Monate spaeter, meine Entscheidung haette nicht besser sein koennen. Ich habe hier in Tainan an der Anping Junior High School einen Freiwilligendienst als Englisch Lehrerin gemacht. Die Schule beginnt hier um 7:30 Uhr und endet um 17 Uhr. Der Unterricht den ich gesehen habe ist sehr eintoenig und ermuedend. Die meisten Schueler sind eher schuechtern und trauen sich nicht wirklich zu sprechen, geschweige denn ihre Meinung zu aeussern. In keinem Unterricht sah ich, das eine Gruppe von Schuelern etwas ausarbeitet oder angeregt ueber ein Unterrichtsthema diskutiert. Es ist fast so, dass ein paar Lehrer nicht das selbststaendige Denken foerden, sondern nur auswendig lernen vorrausetzen. Das wollte ich aendern, jedenfalls in meinem Unterricht. Ich wollte den Schuelern das Selbstbewusstsein geben, was den meisten wirklich fehlte. Ich wollte nicht boese sein, wenn sie einen Fehler machen, sondern sie motivieren, es einfach noch einmal zu versuchen. Am Anfang fuehlte ich mich natuerlich ein wenig verloren. Ich hatte noch nie wirklich unterrichtet und wusste daher nicht so genau wo ich anfangen sollte. Mit der Zeit aber kam ich mit meiner Rolle als Lehrerin immer mehr zurecht. Im Unterricht versuche ich viel zu variieren, da das Englisch Niveau der Schueler sehr unterschiedlich ist. Mal schauen wir also einen englischen Film, mal wird gelesen und geschrieben und das andere Mal, diskutiert und Vortraege gehalten. Mein Ziel ist es den Schuelern, die Augen fuer die Welt zu oeffnen und ihnen bewusst zu machen, das ausserhalb Taiwan, eine Welt auf sie wartet, die entdeckt und erforscht werden will. Aber nicht nur die Schueler lernen viel, auch ich merke wie ich an dieser Aufgabe wachse und viel ueber mich selbst lerne. Wenn man sich entschliesst fuer eine laengere Zeit im Ausland zu leben, muss man sich auch klar machen, dass man viel ueber sich erfaehrt. Wie reagiere ich in Situationen, die es so in meiner Heimat nicht gegeben haette ? Wie gehe ich damit um ? Auch in der Schule fragen mich die Schueler manchmal etwas ueber meine Heimat und dann bin ich selbst erschrocken, wenn ich keine richtige Antwort darauf weiss oder eine vorgefertigte Antwort gebe, die man so in jedem Reisefuehrer ueber Deutschland finden wuerde. Mir wurde bewusst, das auch ich beeinflussbar gegenueber meiner eigenen Heimat bin. Und wie soll jemand aus einem anderen Land bitte mehr ueber Deutschland wissen, wenn auch ich nur die Standardantworten geben kann ? Wie soll jemand Deutschland differenzierter, mit verschiedenen Orten und verschiedenen Menschen, sehen, wenn ich selbst dazu nicht wirklich in der Lage bin ?
Ich haette nie gedachte, dass mit den 6 Monaten die ich in Taiwan verbringe, ich auch so viel ueber mich selbst lerne. In erster Linie denkt man wenn man beschliesst fuer eine gewisse Zeit im Ausland zu leben, dass man nur eine ganz andere Kultur kennen und verstehen lernt. Den meisten ist aber nicht bewusst, dass dies auch dazu fuehrt seinen Kulturkreis, seine Umgebung aufeinmal anders zu sehen und sich nicht nur einige Fragen beantworten, sondern auch neue auftun. Warum machen wir das in Deutschland so und nicht so ? Warum dachte ich, das eine ist richtig und das andere falsch ?
Bevor ich nach Taiwan ausgereist bin, dachte ich, es wird vielleicht Situationen geben, die schwierig sind und ich war mir nicht sicher, ob ich diese dann auch alleine bewaeltigen koenne. Die Zeit hier aber zeigt mir, dass ich alles schaffen kann was ich moechte, wenn ich mit Ehrgeiz und Mut bei der Sache bin. Es hat mir gezeigt, dass ich fuer mich selbst alles erreichen kann, und niemand das Recht hat zu sagen, das ich es nicht schaffe. Wichtig ist das ich an mich selbst glaube. Ich bin dankbar fuer diese Zeit hier. Ich treffe nette Menschen, sehe tolle Orte und eine wunderschoene Natur. Jeder der mit dem Gedanken spielt im Ausland zu leben und damit ein Land aus einer ganz anderen Perspektive kennen lernen will, wuerde ich immer dazu ermutigen. Es hoert sich vielleicht komisch an, aber es macht aus dir ein Stueck weit einen anderen Menschen. Ich bin selbst ueberrascht, dass ich so viele Dinge ausprobiere und mich so gut anpassen kann.
Durch meine Zeit in Taiwan konnte ich so einige Grenzen überwinden, kulturell sowohl als auch persönlich. Deswegen appelliere ich an jeden von euch: Nur wir gemeinsam können etwas ändern. Es ist unsere Erde, sie gehört uns allen. Geht mit offenen Augen durch diese Welt und verschliesst sie nicht. Ich habe einen von vielen wunderschönen Orten dieser Erde nun kennen und lieben gelernt und ich weiss das es für mich noch so viel zu entdecken gibt.
Und genau das zeigt mir: Deutschland ist meine Heimat, doch mein Zuhause kann ueberall sein.
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