Angst haben wir alle. Der Unterschied liegt in der Frage wovor.
In Aserbaidschan wurde das höchste islamische Fest, das Opferfest, begangen. Das bedeutete zwei Tage frei und somit Zeit, die Stadt zu erkunden und Ängste zu überwinden.
Mein Magen dreht sich. Mein Bein kann nicht aufhören zu zittern und ich frage mich, warum in unserem Vertrag nichts davon steht, dass wir uns von Achterbahnen, Karussellen und Wikingerschaukeln in Aserbaidschan fernhalten sollen. Warum nur bin ich auf diese Wikingerschaukel gegangen?
In Deutschland gehe ich eigentlich gerne auf Achterbahnen. Diese freudige, ängstigende Anspannung, kurz bevor es los geht. Die Achterbahn wird langsam hochgezogen und am Ende gibt es diesen kurzen Moment des freien Falls, des Fallens ins Ungewisse und die unbirrbare Gewissheit, die auf jeden Fall da sein muss, dass alles gut gehen wird. Dass du diese Achterbahnfahrt locker überleben wirst. Und doch ist da dieses Kribbeln. Dieses Gefühl, für das es irgendwie nicht wirklich ein Wort gibt und das doch jeder von uns kennt.
Daher habe ich auch nach nur kurzem Zögern zu gesagt, auf diese Wikingerschaukel zu gehen. Bereits vorher waren wir auf einem Karussell- eins für Erwachsene, wo es hoch und runter geht in hoher Geschwindigkeit. Sozusagen ein Kettenkarussell, nur eben ohne die Ketten und mit Sitzen, in die zwei Menschen passen. Und schon diese Fahrt war mir nicht egal. Irgendwie habe ich, während ich auf dem Karussell hoch und runter gezogen wurde, bemerkt, dass ich kein bedingungsloses Vertrauen in die Bautechnik habe. Das kann sicherlich ein Vorurteil sein (am Ende habe ich ja alles überlebt), aber ich habe mich wirklich nach den deutschen Sicherheitsstandards und TÜVs und was nicht noch alles gesehnt. Aber oder eher trotz besseren Wissens wollte ich mir die Wikingerschaukel nicht entgehen lassen. Und dafür gab es eigentlich auch zwei Gründe: Erstens wollte ich mein Vertrauen in aserbaidschanische Rummelattraktionen vertiefen und zweitens hatte ich als Kind ein nicht ganz so schönes Erlebnis auf einer Wikingerschaukel, bei dem ich fast unter der Sicherheitsstange durchgerutscht wäre. Als ich nun vor der Herausforderung in Aserbaidschan stand, nahm ich sie an. Ich wollte meine Angst überwinden. Wie eigentlich immer. Ängste sollen mich nicht aufhalten. Also nahm ich Platz in der Herausforderung in Form eines schaukelnden bunten Schiffes und hoffte, dass alles gut gehen würde. Der Wikingerschaukelangestellte (ist das überhaupt ein Wort?) legte die Sicherheitsstange an und dann ging es auch schon los. Ich hätte vielleicht kurz meinen Kopf einschalten sollen. Wenn diese Ach-so-super-Sicherheitsstange 20cm vor meinem Körper aufhört, kann sie mich in der Horizontalen nicht besonders stabilisieren. Und genauso war es. Die Schaukel zog größere Kurven, bis sie fast einen Halbkreis beschrieb. Und ich saß in meinem Sitz gefangen. Solange das überhaupt nocht sitzen war. Eher auf und ab fliegen. Verzweifelt auf der Suche nach irgendetwas zum Festhalten. Aber alles war alt, rostig und die Schaukel knarrte. Mir blieb nur noch zu hoffen... Hoffen, dass mein Magen mitspielt. Hoffen, dass ich nicht rausfalle. Hoffen, dass diese blöde Schaukel nicht während der Fahrt auseinanderbricht. Die blassen Gesichter der anderen Wikingerschaukelgefangen halfen auch nicht wirklich.
Und warum genau war ich eigentlich an einem Mittwochnachmittag auf dem Rummel? Es war Qurban Bayramı. Im arabischen heißt es Eid al-Adha. Und im deutschen Opferfest. Qurban Bayramı ist das höchste islamische Fest am Ende der Pilgerzeit nach Mekka, der haddsch. In Aserbaidschan wird das Fest mit zwei freien Tagen geehrt. Und eigentlich werden Schafe, Ziegen oder ähnliches feierlich und streng nach Vorschrift geopfert. Also geschlachtet. Das Fleisch wird dann anschließend an Arme und Bedürftige verteilt. (Weitere Informationen könnt ihr euch gerne bei Wikipedia abholen.) Ich war, nun, das klingt jetzt vielleicht etwas verstörend, schon voller Vorfreude und Aufregung. Ich wollte das Opferfest endlich in seinem vollem Umfang erleben, da ich es in der Türkei leider verpasst hatte. Doch dann musste ich - ja, ich muss es zugeben - enttäuschend feststellen, dass die wenigsten Menschen in Aserbaidschan Tiere opfern. Das liegt auch daran, dass mensch es sich leisten können muss, einfach ein Tier zu opfern. Das kann der Durchschnittshaushalt in Aserbaidschan nun mal nicht. Also verbrachte ich die zwei Feiertage ohne rituelle Schlachtung, dafür aber mit anderen Köstlichkeiten, Freizeit, einem Bummel über den lokalen Bazar und eben mit einem Besuch auf dem Rummel. Aber irgendwann, so viel ist klar, möchte ich Eid al-Adha nochmal in seinem vollen Ausmaß kennenlernen. Aber für meinen Magen war auch schon die Fahrt mit der Wikingerschaukel Aufregung genug. Vielleicht reicht das auch für den Anfang.