Lektion Nr. 2: Dankbarkeit
Seit ich hier bin, war jede Woche für mich auf unterschiedlichste Weise spannend. Es gab stets etwas Neues zu lernen und zu entdecken. Doch die vergangene Woche hat mich eines besonders gelehrt: Dankbarkeit!
Ich bin dankbar dafür laufen zu können, egal wohin ich will. Ich bin dankbar dafür rennen zu können, wann ich will. Ich bin dankbar dafür, dass ich im Stande bin diesen blöden Berg mit dem Fahrrad zu bezwingen, der zwischen meiner Wohnung und dem Leuchie House liegt.
Was mich diese Dankbarkeit gelehrt hat ist ganz einfach. Es sind die Menschen, die mich jeden Tag mit einem Lächeln begrüßen, obwohl sie seit fünf, acht oder 15 Jahren an den Rollstuhl gefesselt sind. Jeder kennt die Situation, wenn man über einen längeren Zeitraum sitzen muss, sei es in der Schule, im Büro- oder im Theater. Irgendwann tut einem das Hinterteil weh und man möchte sich bewegen. Nun stellt euch vor, ihr müsst über zehn Jahre sitzen, weil euch nichts anderes übrig bleibt. Allein die Vorstellung davon ist schon nicht so einfach! Viele Schicksalsschläge und Lebensgeschichten habe ich schon gehört und jede einzelne tut mir im Herzen weh, denn das Leben dieser Menschen wurde von einem Augenblick auf den Nächsten in eine Richtung gedrängt, auf die man keinen Einfluss mehr hat. Plötzlich kann man seinen geliebten Job als Ingenieur in Saudi Arabien oder Leiter eines Jugendhauses nicht mehr ausführen. Mit einem Mal hat man Probleme seine Kinder und Enkelkinder zu sehen, die quer über’s Land verstreut leben, weil das Reisen um einiges verkompliziert wurde. Und permanent sitzt einem die Angst im Nacken, dass man seinen Liebsten die Veranlagung für dieses grausame Schicksal mitgegeben hat, denn auch wenn die Ursache für multiple Sklerose bislang nicht geklärt ist, scheint es doch in den Genen zu liegen.
Mein Aufenthalt hier und die Arbeit im Leuchie House haben mir schon viel beigebracht, doch Dankbarkeit ist wohl das Wichtigste! Und liebend gern würde ich Euch auch durch ein paar Worte begreiflich machen wollen, dass auch Ihr dankbar sein könnt, denn man weiß nie, was für Überraschungen der eigene Lebensweg noch bereit hält. Also springt, tanzt, erforscht die Welt mit allen Sinnen, solang ihr dazu in der Lage seid!