Halbzeit
On-Arrival-Training in Antalya, Wochenende in Istanbul, Volkstänze mit Kollegen - die Hälfte meines Projektes ist um, doch Alltag gibt es kaum.
Zwei größere Ausflüge liegen hinter mir: Antalya und Istanbul.
In Antalya war nach beinahe drei Monaten in der Türkei mein on-arrival Training. Mit knapp 60 Freiwilligen aus allen Teilen Europas und unzähligen russischen Touristen haben wir fünf Tage in einem fünf Sterne Hotel mit Meerblick all-inclusive gewohnt. Eine willkommene Abwechslung zu meinem Kühlschrank, in dem sich generell nur Wasser und eine Flasche Wein befindet. Das hat wiederum mehr mit den wirklich sehr preiswerten Möglichkeiten zum Auswärtsessen zu tun und den Großfamilienportionen, die man im Supermarkt kaufen kann und die bei mir nur schlecht werden würden. Trotz meiner inhaltlich höheren Erwartungen war diese Zeit wunderbar. Das Seminar hat uns Freiwilligen die Möglichkeit gegeben, uns über sämtliche positive und negative Erlebnisse auszutauschen – und die sind vielfältig! Von engagierten Aufnahmeorganisationen, liebenswerten Mentoren, offene Ohren für Eigeninitiativen und der Möglichkeit das Land im Rahmen des Projekts zu bereisen bis hin zu gar keiner Arbeit oder 40-Stunden Wochen, nicht ertragbaren Wohnsituationen und banalen wie essentiellen Problemen wie zu wenig Essen. Zudem herrschen teilweise schwierige Rahmenbedingungen für Frauen, die gerade in den östlicheren Gebieten der Türkei als Freiwild begriffen zu werden scheinen oder in einem extremen Fall kaum ohne Begleitung auf die Straße dürfen. Dieser Unterschied zwischen Männern und Frauen macht sich auch hier in Izmir immer wieder latent bemerkbar, wenn bei Behördengängen selbstverständlich der Mann die Bezugsperson ist oder auch in alltäglichen Situationen, in denen diverse Kodexe unterschiedliches Verhalten von Männern und Frauen vorgeben. Ein zufriedenstellender Sprachkurs ist eine Seltenheit.
Spontan habe ich dann noch mit ein paar Freiwilligen beschlossen, unseren Aufenthalt in Antalya um einen Tag zu verlängern und ins Hostel zu ziehen. Dazu ist es dann aber nicht mehr gekommen, da wir im Cafe noch zwei junge Frauen kennengelernt haben, die uns gleich angeboten haben, dass wir doch selbstverständlich bei ihnen übernachten könnten. Sie wohnt noch bei ihren Eltern und die Mutter hat so wunderbar für uns gekocht! Gemeinsam haben wir dann noch das Fußballspiel Deutschland gegen die Türkei geschaut, Bananen aus Eigenanbau gegessen und bis in die Nacht gequatscht. Von dieser Gastfreundschaft kann sich Deutschland gerne noch eine Scheibe abschneiden!
Kurz nach meinem seelisch und moralischem Tief ist meine Familie für ein paar Tage zu Besuch gekommen. Was war das schön und gerade zur rechten Zeit! Ich hab ein bisschen die Stadt gezeigt, meine Freunde und Arbeit vorgestellt. Wir konnten sogar Mitte Oktober noch einen Strandtag einlegen. Es ist schön, dass sie sich jetzt ein bisschen besser vorstellen können, wie ich hier lebe.
Und dann war da noch mein erstes Mal Istanbul! Mit meiner Freundin Maryam bin ich neulich für ein verlängertes Wochenende nach Istanbul gefahren. Nach der Arbeit los und dann zehn Stunden Busfahrt. Busfahren ist komfortabel hier. Jedes Stündchen werden Tee, Wasser, Säfte, Kekse und Kuchen verteilt, es gibt Bildschirme in jeden Sitz und Internet. Es war mal wieder nichts geplant, aber ein Freund hat seinen 'abi', also großen Bruder angerufen, ob wir nicht bei ihm unterkommen können. War kein Problem und so haben wir ein paar wundervolle Tage bei Mustafa abi und seiner Familie verbracht. Neben touristischen Aktionen wie Sultan Ahmet Moschee, Grand Bazaar, Gewürzbazar und Bosporus haben wir uns auch einfach viel in Cafés aufgehalten. Die Idee, das Wochenende um den 87. Geburtstag der Türkei in Istanbul zu verbringen, hatten einige und so haben wir dort noch andere Freiwillige sowie Einheimische getroffen. Gemeinsam haben wir das große Feuerwerk am Bosporus genossen und die Abende in Taksim verbracht.
Fazit: Istanbul ist großartig – und das im wahrsten Sinne des Wortes. Noch nie habe ich so überfüllte Straßen und Läden gesehen. Die Autos standen teilweise einfach minutenlang ohne sich zu bewegen und als wir mitten in der Nacht nach Hause wollten, stand unser Bus doch tatsächlich im Stau. Istanbul ist eine wirkliche Metropole. So groß und vor allem so international und weltoffen. Man merkt sofort, dass die Bewohner in ganz anderen Dimensionen denken als hier im kleinen, ruhigen Izmir. Es war aber trotzdem wieder schön zurück „nach Hause“ zu kommen.
Mit meiner Arbeit hat sich inhaltlich nicht viel verändert, aber ich bin in ein anders Büro umgezogen, in dem insgesamt acht Leute arbeiten. Ich hab hier alle wirklich sehr gern und sie mich auch, so dass ich mich nach Istanbul gefreut habe, alle wiederzusehen!
Das lustige ist, dass ich meine Kollegen auch ständig beim Onlineshopping sehe, oder Farmville spielend oder einfach nichts tuend. Wir haben jetzt auch einen Praktikanten, der nicht so sicher weiß, ob er nun 17 oder 18 ist, und die gleiche Tätigkeit hat. Mit dem Alter steige ich auch noch nicht so richtig durch, das ist in der Türkei irgendwie kompliziert. Er ist zwar 18 geworden aber das Lebensjahr ist ja noch nicht abgeschlossen, also ist er noch 17.. oder vielleicht auch doch nicht. Gestern haben wir den Tag damit verbracht, mir türkische Sprichwörter beizubringen und heute hat eine Kollegin Geburtstag, also essen wir alle Kuchen und trinken Cola. Die Gefahr eines Tages unter Burnout zu leiden scheint verschwindet gering, Arbeit ist auch ganz anderes definiert. Gerade haben wir alle im Kreis zu traditioneller Musik getanzt! Es macht Spaß und irgendwann, ganz langsam, funktioniert ja dann doch einiges. Die letzte Woche habe ich statt wie gewöhnlich in der Kultur und Kunst Abteilung der Ortsverwaltung in dem PR-Büro verbracht. Dort habe ich mit zwei auch total netten Mitarbeitern an einer Website über den Europäischen Freiwilligendienst gearbeitet und über die Schulter geschaut, wie sie Plakate für ein Konzert, auf dem Atatürks Lieblingslieder gespielt werden, entwerfen. Dann läuft gerade die Welt-Kinderbuch-Woche zu der hier jeden Tag hunderte aufgeregte Grundschüler kommen und Autoren lauschen. Da geht einem das Herz auf. Ich habe Bücher und Lesezeichen verteilt.
Selbst wenn ab und an wieder Unmut aufkommt und das Gefühl absolut unnütz zu sein nicht mehr zu verdrängend ist, meist fühle ich mich hier sehr wohl und ich erlebe und lerne dadurch ungemein viel, von Zeitverschwendung kann also auch keine Rede sein.
Nächste Woche ist mal wieder Bayram, also eine Woche frei, die für Ausflüge genutzt werden kann. Kurban Bayram basiert auf der bekannten Geschichte, dass Ibrahim einen Widder an Stelle seines Sohnes geopfert hat. Mir wird gesagt, dass ich viel Blut zu erwarten habe.
Vermutlich fahre ich aber eh mit ein paar Erasmusstudentinnen nach Marmaris und von dort nach Rhodos. Wir werden sehen.
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