Meine Woche im Zeitraffer – Teil 2
Wie ich von einem Fisch überrascht werde, den 11. November verbringe und die Attentate in Paris erlebe
Sonntag, 08.11.2015
Heute geht es dann aber wirklich früh raus. Zumindest ist das so geplant. Relativ früh mit einem leckeren Frühstück im Magen machen wir uns auf den Weg. Zunächst in Richtung Intermarché. Schließlich muss ja davon profitiert werden, dass man sich in Frankreich befindet. Esskastanienkonfitüre habe ich bis jetzt nämlich nur hier gesehen (Das Rätsel, wann es nun Marone oder Esskastanie bzw. „maron“ oder „chataigne“ heißt, kann mir keiner so wirklich lösen. Jeder behauptet etwas anderes. Für mich werden Maronen und Esskastanien vermutlich immer das Gleiche sein, während chataignes eher dazu tendiert eine normale Kastanie zu sein.)
Nach dem kleinen Shoppingausflug machen wir noch einen kleinen Abstecher zu den „Chateaux des Allinges“. Als ich das letzte Mal hier war, war ich vollkommen vom Nebel eingeschlossen und habe von der wunderschönen Landschaft nicht so viel sehen können. Heute ist das aber anders. Das Wetter ist „magnifique“, der Himmel ist strahlend blau und die Sonne scheint warm ins Gesicht.
Nachdem die Hauptburg und ihre Anhängselburg ausgiebig erkundet wurden, geht es kurz nach Hause wo wir etwas kochen.
Nachmittags steht noch ein Besuch im nahe gelegenen Nernier an. Bei der besagten Stadt handelt es sich um ein süßes Örtchen im mittelalterlichen Stil direkt am Genfer See gelegen. Wir bummeln auf dem Bootsanleger entlang und beobachten ausgiebig die doch sehr feinen Herrschaften, die zu ihrem Sonntagsspaziergang aufgebrochen sind. Als wir aber auch nach mehrmaligem Fragen keine geeignete Stätte finden um einen Kaffee zu trinken (entweder haben die vermeintlichen Kaffees zu, oder es wird kein Kaffee verkauft), verlassen wir Nernier. Zunächst wollen wir den Plan umsetzten und am Wasser nach Yvoire laufen. Unser Vorhaben wird aber leider sehr schnell dadurch zerstört, dass der Weg, der zunächst an einer alten (Internats-/Schloss-?) Fassade entlang geht und hier und da mit sehr schönen Wegplatten mit poetischen Sprüchen geschmückt ist, abrupt endet. Entweder entschließen wir uns dazu, dass es warm genug zum Schwimmen ist oder wir drehen um. Obwohl auf meiner To-do Liste sowieso steht, dass ich mal im Genfer See schwimmen möchte, machen wir doch Kehrt. Zu Schade, dass wir unsere Badesachen nicht dabei haben. Sonst wäre das Ganze vielleicht ja doch im Badeausflug geendet...
Im Anschluss fahren wir nach Yvoire in der Hoffnung dort ein Café zu finden. Leider auch erfolglos. Zwischen den ganzen asiatischen Touristen und den feinen Sonntagsspaziergängern werden wir nicht fündig. Darum geht es dann nach einer Weile ohne Kaffee Richtung l'Ermitage.
Abends fahren M.s Eltern wieder nach Hause. Ich falle sehr müde ins Bett. Es ist immer schön so viel zu unternehmen und die Möglichkeit bekommen so viel zu sehen, aber natürlich auch anstrengend. Verhältnismäßig früh schlafe ich darum schließlich ein.
Montag, 09.11.2015
Morgens bemerke ich, dass ich einen entgangenen Anruf von A.-M. Habe. Etwas verwirrt gehe ich zu ihr rüber. Dort fragt sie mich, ob ich Lust hätte für zwei Tage Hundeherrchen zu spielen. Na, was ist das denn für eine Frage? Natürlich möchte ich! Da A.-M. und B. Für die nächsten zwei Tage in Paris sein werden, kann sich keiner richtig um die Hunde kümmern. Ich solle einfach so viel mit ihnen raus gehen, wie ich Lust habe. Optimal seien zwei Mal am Tag, aber nur, wenn das in meinen Tag passt. Um das Ganze einmal zu testen, drehe ich mit Jacques, Gina und Blanca eine Tour durch den Wald. Es ist unglaublich, aber die Hunde kennen ihre Spazierstrecke sehr genau und führen mich ca. eine Stunde durch den friedlichen Wald.
Unser Straßbourg-Trip bekommt langsam genauere Konturen. Nachdem die Zugfahrkarten nun schon gebucht sind, wird das nächste Problem angegangen: Wo sollen wir schlafen? Nach großem Hin und Her einigen wir uns schließlich darauf, dass wir uns aufteilen. M. Und A. Werden bereits Donnerstag ankommen und erst Montag wieder fahren, während M. Und ich nur über das Wochenende bleiben (M., M. und A. Habe ich allesamt auf dem EFD-Seminar in Narbonne kennengelernt.). Darum suche ich mit M. gemeinsam nach einer Bleibe. Ich schreibe fleißig Anfragen über die Airbnb-Seite und bekomme auch sehr schnell Rückmeldung von einem netten Herrn, der direkt in Straßbourg wohnt. Leider – das fällt mir aber erst auf als er mir die Zeit bestätigt hat – habe ich bei meiner Anfrage aber eine Woche zu früh als Datum genannt. Und so stehen M. Und ich wieder ohne Schlafunterkunft da. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir noch etwas finden. Zu Not schlafen wir eben in der Jugendherberge. Außerdem ziehen wir auch noch in Erwägung Couchsurfing mal auszuprobieren. Das wollte ich schon immer mal machen. Wobei ich da zu zweit ein besseres Gefühl bei habe. Auf der Seite muss man für meinen deutschen Geschmack dann aber doch etwas zu viele Daten angeben.
[Nach einigen Tagen und Konversationen mit interessanten Leuten – beispielsweise mit einem Ehepaar, das als Stimmcoach arbeitet und in ihrem Haus, welches scheinbar einem Antiquitätenladen ähnelt, Schlafplätze anbietet – werden wird schließlich fündig. Die Dame, mit der ich nun am schreiben bin, ist sehr nett und ich bin begeistert, wie gut das alles doch funktioniert.]
Dienstag, 10.11.2015
Nun bin ich also temporäres Hundeherrchen und besitze drei Adoptivhunde. Damit ich meiner Aufgabe auch ja gerecht werde, stehe ich relativ früh auf und werde von den dreien stürmisch begrüßt. Man vergisst doch häufig, dass in einem Hund noch ein sehr wilder Jagdinstinkt steckt...
Die Sonne geht gerade auf und im Wald ist es ganz leise. Ich schwebe auf Wolke sieben. Und plötzlich ist der Wald ganz schnell nicht mehr leise. Denn mein Gesang schallt durch die Luft. Ich kann nur hoffen, dass uns keiner über den Weg läuft, aber bis jetzt ist mir hier noch nie jemand begegnet. Warum sollte da also ausgerechnet heute jemand sein? Vor mich hin trällernd stapfe ich durch den Wald, immer den Hunden hinter her. Ein Stückchen geht ganz schön den Berg hoch. Als unsichtbarer Beobachter hätte man das dann vermutlich daran gemerkt, dass meine Stimmintensität abgenommen hat. Glücklich kommen wir zu Hause wieder an und ich bringe die drei wieder in ihre große Hundehütte.
Auf der Arbeit angelangt, bekommen Maxim und ich die Anfrage, ob wir am kommenden Samstag eine Präsentation zum EFD halten wollen. Naja, ob wir wollen oder nicht: nein sagen können wir ja schlecht. Als wir L. Fragen, um was genau es sich dabei überhaupt handelt, kann er uns aber keine Antwort geben. Und auch unser Mentor F. - Aka Monsieur L. - Weiß nicht so genau was uns erwarten wird. Nachmittags erreicht mich dann eine E-Mail von dem Verantwortlichen für den Tag der offenen Tür, auf welchem wir präsent sein sollen. Nach einigem Hin- und Herschreiben sind wir etwas im Bilde: wir sollen den EFD etwas promoten. Am Besten mit einem kleinen Vortrag. Darum stürzen sich M. Und ich am Nachmittag in die Vorbereitung.
Abends mache ich wieder ganz verantwortungsvoll meinen Gang mit den Hunden. Nach und nach wird es allerdings dunkler. Und dunkler... und dunkler... Das Singen vergeht mir dann doch langsam. An sich fühle ich mich durch die drei Vierbeiner sehr sicher. Auch in einem dunklen, dunklen Wald. Aber komisch ist es doch. Das letzte Stückchen ist es schließlich so dunkel, dass ich versuche den Weg vor mir mit meiner Handytaschenlampe auszuleuchten. Dies gelingt mir allerdings nur mäßig.
Mittwoch, 11.11.2015
Da heute ein Nationalfeiertag zu Gedenken der Gefallenen des ersten Weltkriegs ist, müssen wir nicht arbeiten. Das ist sehr schön. Ich profitiere durch einen schönen Morgenspaziergang mit den Hunden davon. Müsste ich arbeiten, wäre das zeitlich nicht möglich. So streife ich aber wieder trällernd durch das Wäldchen und beglücke die bereits aufgewachten Vögel mit meiner eigenen Interpretation von Adeles „Hello“ (Momentan bringe ich M. Damit auf die Palme, dass ich immer und immer wieder die gleiche Zeile aus dem Hit singe. Darum versuche ich meinem Ohrwurm im Wald freien Lauf zu lassen in der Hoffnung, dass er sich bis zu Hause wieder verflüchtigt hat...). Nach diesem schönen Tagesbeginn profitiere ich etwas von meinem freien Tag und skype.
Am Nachmittag will ich eigentlich irgendwo hin um etwas typisch Französisches von dem Feiertag mitzubekommen. Da ich aber nichts Interessantes auftreiben kann, endet das Ganze in einer großen Radtour. Und am Ende lande ich wieder bei einem Kaffee in meinem Lieblingscafé an der Straßenkreuzung, beobachte die Kunden, lese etwas Zeitung und freue mich über meinen freien Tag. So ein freier Tag unter der Woche ist doch herrlich.
Donnerstag, 12.11.2015
Da M. und ich außer der Vorbereitung der TAP-Stunden auf der Arbeit gerade nicht sonderlich viel zu tun haben, überrede ich ihn, dass wir den Teich mal ausfischen sollten. Als wir im September hier angekommen sind, war der Teich einigermaßen klar. Mittlerweile ist er aber beinahe schwarz und der kommende Winter macht sich durch die in ihn gefallenen Blätter der umliegenden Bäume bemerkbar. Als ich dann das Rätsel des Zahlenschlosses am Törchen zum Teich gelöst habe – bis heute bin ich nämlich immer sehr umständlich über das Törchen geklettert. Die Schwierigkeit bestand dabei allerdings darin, dass meine Beine zu kurz sind, als dass ich in einem Schritt über das Tor hätte klettern können, und darin, dass das Tor aber nicht darauf ausgelegt ist, dass man darüber klettert. Da ich nicht daran Schuld sein will, wenn das Tor zusammenkracht, habe ich mir immer sehr umständlich eine Kabeltrommel vor und hinter das Tor gestellt und bin dann mit ihrer Hilfe über das vor mir liegende Hindernis. Allerdings habe ich mich dabei immer etwas minderbemittelt gefühlt. Und ich hatte Angst, dass ich doch einmal einen Abgang über die Treppe hinter dem Tor mache. Hach, geographische Beschreibungen liegen mir nicht so ganz. Aber ich hoffe, dass man versteht, dass es einfach alles in allem eine prekäre Situation war... Des Rätsels Lösung des Schlosses war schließlich das Schloss in einen bestimmten Winkel zu schieben. Dann funktioniert das Öffnen sogar ohne den zugehörigen Zahlencode! -, mache ich mich mit einem Kescher und einem Rechen über den Teich her. Das, was wir aus den Tiefen des Teichs fischen erinnert mich im Entfernten an eine Gesichtsmaske. Typ Heilerde mit Schlammpartikeln. Eine Internetrecherche ergibt, dass das, was wir da zu Tage befördern Tiefenschlamm heißt. Besagter Schlamm sieht aber nur rein optisch wie eine Maske aus. Ich habe jedenfalls noch nie eine Maske aufgelegt, die so intensiv gerochen hat, wie das, was nun vor mir liegt. Obwohl der Teich wirklich nicht tief ist, scheint er unermessliche Ausmaße zu besitzen. Eventuell in einer anderen Galaxis. Der Tiefenschlamm, den wir zu Tage befördern, nimmt jedenfalls kein Ende. Nach knapp zwei Stunden intensivens Fischens, Grabens und Rechens, ist das Ufer des Teichs mit großen Bergen von Tiefenschlamm besiedelt. Zuerst haben wir das Herausgefischte direkt in die Schublade zum Abtransport geschaufelt, ziemlich schnell fällt uns dann aber auf, dass in dem Schlamm noch eifrig Tiere – um genau zu sein ganz ekelhafte Käfer – herumkriechen. Wortwörtlich ein Schlam(m)assel... Wir ersinnen den weisen Plan das ganze bis morgen stehen zu lassen, damit die Tiere wieder in ihr Biotop zurück kriechen können.
Während wir dabei sind den Teich noch etwas auszufischen, hole ich etwas sehr orangefarbenes aus dem Teich. Das Etwas ist etwa so groß wie meine Hand und ich frage mich, warum man ein großes, orangefarbenes Stück Plastik in unseren kleinen Teich schmeißt. Doch plötzlich bewegt sich das vermeintliche Stückchen Plastik! Es ist nämlich gar kein Plastik, sondern ein Fisch! Wir haben Fische. Ich kann es nicht glauben. Völlig perplex stoße ich einen lauten, irritieren OMG-Was-ist-denn-das-ich-kann-es-nicht-glauben-Schrei aus. M. und ich sind eigentlich davon ausgegangen, dass alle Fische, die jemals in dem Teich gelebt haben, bereits ausgestorben sind. Scheinbar sind es aber sehr resistente Fische. Die Tatsache, dass da wirklich noch Leben in unserem Teich ist, bringt mich dazu nach Eisbekämpfungsmaßnahmen Ausschau zu halten. Seit ich in Frankreich bin und im Prinzip eine Arbeitsgärtnerin geworden bin, findet man mich ab und an auch auf so klugen Gartenseiten auf welchen sich Hobbygärtner über die besten Methoden zum Eisfreihalten eines Teiches austauschen. Des Rätsels Lösung scheint ein Eisfreihalter zu sein. Den kann man sogar selber bauen. Im Kopf mache ich mir eine Notiz und setze es auf meine To-Do-Liste für die nächsten Tage.
Abends gehe ich zum zweiten Mal zum Flagfootball Training. Ich werde wieder herzlich begrüßt. Man freut sich, dass ich weiterhin komme. Heute machen wir nicht so viel Zirkeltraining, sondern eher Spielzüge und üben das Fangen des Footballs. Letzteres habe vor allem ich nötig. In der Theorie weiß ich wie ich den Ball am Besten fangen sollte, in der Praxis ist das allerdings alles andere als einfach. Ich soll geradeaus sprinten, halb nach hinten schauen (damit ich mitbekomme wenn der Ball kommt), dabei aber nicht an Tempo verlieren. Und dann natürlich auch noch den Ball fangen. Das ist fürs Erste alles ziemlich viel auf einmal. Glücklicherweise erklärt mir E. Immer wieder sehr geduldig was ich besser machen kann.
Als das Training vorbei ist, organisiert mir M. Die Formulare zum Anmelden und ich lande direkt in einer Facebookgruppe. Generell bin ich immer wieder überrascht, wer in Frankreich alles Facebook besitzt. Gefühlt jeder. Die Jugendlichen sowieso. Aber auch erstaunlich viele Ältere.
Freitag, 13.11.2015
Auf der Arbeit erhalten wir heute eine E-Mail von dem Verantwortlichen von dem Tag der offenen Tür, der morgen stattfinden soll. Da sich zu wenige Leute angemeldet haben, fällt er aus. Ob er „leider“ ausfällt, kann ich für mich gar nicht so genau sagen. Denn einerseits bin ich natürlich erleichtert, dass ich doch keine Präsentation vor wie vielen Leuten auch immer auf Französisch halten muss, andererseits bin ich aber auch enttäuscht, dass die ganze Arbeit umsonst war. Er vertröstet uns aber auf Februar oder März. Mal schauen, ob sich dann mehr Leute anmelden. Nach Annecy, dem Ort, in dem der Tag der offenen Tür stattgefunden hätte, wollen M. Und ich morgen aber trotzdem fahren. Denn sobald klar war, dass wir nach Annecy müssen, haben wir ein paar Leute vom BAFA-Seminar kontaktiert und gefragt ob wir uns nicht treffen wollen.
Samstag, 14.11.2015
Ich wache auf. Heute wollen M. und ich früh los, weil wir uns nach Annecy wagen. Eigentlich war für heute ein Tag der offenen Tür unserer Aufnahmeorganisation angesetzt. Da sich dafür aber zu wenig Leute angemeldet haben, fällt es kurzer Hand ins Wasser. Was wir allerdings nicht ganz so schlimm finden. Wir sollten dort nämlich eine Präsentation über den EFD halten.
Im Voraus hatten wir allerdings schon ein Treffen mit zwei Mädchen, die wir beim BAFA-Seminar kennen gelernt haben, arrangiert. Darum fahren wir trotzdem nach Annecy.
Als ich allerdings an dem Morgen auf mein Handy schaue, holt mich die Realität ein. Über Nacht habe ich mein Handy geladen. Normalerweise habe ich mein Handy über Nacht im Offline-Modus. Diese Nacht habe ich das aber irgendwie vergessen. Vielleicht ist das aber auch besser so gewesen. Sonst hätte ich nämlich nichts von den Vorfällen in der Nacht in Paris mit bekommen. Das Internet funktioniert bei uns mal wieder nicht. In der Nacht hat mir Spiegel online aber eine Push-up Nachricht geschickt: „Attentat in Paris“. Mehr weiß ich nicht. Noch nicht. Diese winzige Nachricht reicht aber auch schon um in mir die Sorgen zu wecken. Ich mache mir unglaubliche Gedanken um die zwei Freiwilligen, die ich in Paris kenne. Glücklicherweise sehe ich, dass bereits in der Nacht in unserer Whatsapp-Gruppe mit den anderen Freiwilligen sich erkundigt wurde, ob es den beiden gut geht. Und dem ist so. Zwar waren sie sogar in dem Stadion, in dem sich das Freundschaftsspiel Deutschland gegen Frankreich abgespielt hat, und welches auch ein Schauplatz der Tragödie werden sollte, sind aber gut nach Hause gekommen.
Als M. und ich dann in Annecy ankommen merken wir aber direkt, dass die Atmosphäre angespannt ist. In der Halle, in der sich auch das Tourismusbüro befindet und in der wir uns mit den anderen beiden treffen wollen, befindet sich plötzlich Sicherheitspersonal. Ich bringe den Sicherheitsmann allerdings nicht direkt mit Freitagnacht in Verbindung. Erst als F., die wir wenig später treffen, mir erzählt, was genau sich überhaupt zugetragen hat, macht das alles plötzlich viel mehr Sinn. Die Attentate in Paris sind auch der Grund warum A., die mit ihrem Freund A. Kommen wird, etwas später kommt. Seine Eltern befinden sich momentan in Paris. Ihnen geht es glücklicher Weise gut. Bis die beiden kommen, essen M., F. und ich zu Mittag. Es ist schön F. Wieder zu sehen. Wir schlendern durch einen mediamarktähnlichen Laden und stellen fest, wie sehr Game-of-Thorenes-Besessenheit verbinden kann. Als wir uns in einem Laden befinden, der vordergründig naturbelassene Produkte verkauft und wir eine Dreiviertelstunde fasziniert in der Kinderabteilung verbracht haben (vordergründig damit beschäftigt die Wunderdose, die wahlweise Schafblöken oder Kuhmuhen beim Umdrehen von sich geben, umzudrehen und Charlie in seiner Wimmelwelt zu suchen), taucht A. Schließlich mit A. auf. Die Freude ist groß. Und A. (A.s Freund, den M. Und ich noch nicht kennen) ist auch nett. Sehr aufgedreht, aber nett. Jedoch hängt den gesamten Nachmittag das Thema „Paris“ in der Luft. Es trifft die Leute, das merkt man. Die Atmosphäre ist gedämpft. Die Franzosen fühlen sich getroffen. Jeder kennt hier irgendjemanden in Paris, um den man sich Gedanken machen kann.
Spontan kündigt sich noch O. an, der auch bei unserem BAFA-Seminar mit dabei war. Um drei Uhr sollte er eigentlich schon in Annecy sein. Nach einer Stunde in der Kälte Warten kommt er schließlich. Er ist aber nicht alleine. O. hat seinen Cousin G. Mitgebracht, dessen Flug von Genf aus nicht nach Paris geht. Wie gesagt, es herrscht hier momentan Ausnahmezustand.
Nichtsdestotrotz verbringen wir einen schönen Nachmittag und lassen bei warmem Kaffee/Kakao das Seminar noch einmal aufleben.
Als es dunkel wird schlendern M. und ich noch einmal durch die Stadt auf der Suche nach potentiellen Weihnachtsgeschenken. Schließlich machen wir uns auf die Wanderung zurück zum Camion. Das Parken stellte sich in Annecy alles andere als leicht heraus... Kurzer Hand haben wir beschlossen, dass wir den Camion vermeintliche paar Schritte von der Innenstadt entfernt abzustellen. Der Weg vom Parkplatz zur Innenstadt dauerte dann aber doch seine 40 Minuten. Da wir unser Transportmittel auf einem Parkplatz zwischen einem Supermarkt und einer Hochhäuserreihe abgestellt hatten, war ich doch etwas in Sorge, dass wir in irgendeiner Weise im Parkverbot stehen und der Camion nicht mehr da ist, wenn wir abends kommen. Glücklicherweise ist aber nichts dergleichen eingetroffen.
Auf der Rückfahrt wird mir sehr eingängig der Einsatz der Motorbremse demonstriert. Mein Papa wäre stolz auf mich. Zumindest in der Theorie klingt das ja gar nicht so schwer.
Wir schaffen es wieder ohne an einer Mautstelle vorbei zukommen nach Hause. Dort merke ich zum ersten Mal, wie fertig ich bin. Den ganzen Tag waren wir auf den Beinen und dann holt mich Paris auch noch ein. Müde und zerschlagen falle ich ins Bett.
Sonntag, 15.11.2015
Morgens skype ich ein bisschen. Für nachmittags habe ich mir überlegt auf ein Event zu gehen, bei dem Luftballons zu Gunsten einer Muskoviszidose-Stiftung in die Luft gelassen werden. Als ich dort aber ankomme (bzw. an dem Ort, von dem ich glaube, dass er als Schauplatz dienen soll) ist dort nichts und niemand. Schade, ich hatte mich schon total darauf gefreut. Enttäuscht radle ich weiter. Ich komme an einem Fußballplatz vorbei. Die gesamte Ballabfangmauer ist mit französischen Flaggen geschmückt. Ein riesiger Schriftzug ziert das Gitter. „La France en dieul“ - „Frankreich in Trauer“. Was meine Augen in diesem Moment erblicken, beschreibt ganz gut, was mich in der nächsten Woche erwartet. Überall wird über nichts anderes mehr geredet als Freitagnacht. Als über die Frage, wie man nun vorgehen muss. Wie man vorgehen sollte. In den Nachrichten gibt es kein anderes Thema mehr. Täglich wird man mit neuen Nachrichten überflutet. Im Fernsehen, in den Zeitungen, in den sozialen Netzwerken, in Unterhaltungen. Es gibt nur ein Thema: Paris. Und obwohl ich rein räumlich gesehen beinahe weiter von Paris entfernt bin, als meine Lieben zu Hause, nimmt es mich mit. Ich bin zwar nicht direkt betroffen, aber alleine die Tatsache, dass ich mich in den betroffenen Land befinde, alleine die Tatsache, dass ich irgendwie einen ganz anderen Zugang zu dem Geschehenen habe, macht es mich betroffen. Ich begreife nicht wirklich was geschehen ist, finde es schrecklich. Doch trotz dieser schrecklichen Nacht hoffe ich, dass man aus der Situation gestärkt herausgehen kann. Eine riesige Welle der Solidarität überrollte die Sozialen Netzwerke, überrollte Europa. Meine Facebook-Startseite bestand lediglich daraus, dass jeder sein Profilbild in die Farben der französischen Flagge umgefärbt hat. Und das hält bis heute an. Einerseits zeigt es, dass man zueinander hält, andererseits frage ich mich aber auch, warum immer erst etwas Schlimmes geschehen muss, damit alle zusammen halten. So sollte eigentlich der ständige Zustand sein. Ich hoffe, dass die Solidaritätswelle keine punktuelle Erscheinung ist. Aber wir werden sehen, wie sich das Ganze entwickelt.
Und natürlich ist es schrecklich, was passiert ist, allerdings sollte man auch nicht vergessen, dass dies in manchen Ländern leider Alltag ist. So traurig das auch ist. Der Mensch ist vermutlich eher ein egoistisches Wesen, welches sich zunächst um sich selbst sorgt. Und so ist es dann auch zu erklären, warum viele Europäer nach Freitagnacht aufgerüttelt sind und erst jetzt so schnell wie möglich aktive werden. Wie auch immer, das Thema ist allgegenwärtig. Auch als ich auf dem Rückweg einen Stopp in meinem Stammcafé einlege, berichtet die ausliegende Zeitung von nichts anderem.
Ich skype heute noch sehr viel, was auch dazu führt, dass Paris Teil meines Tages wird.
Abends merke ich wie müde und erschöpft ich bin.