Erschossen, an einem sonnigen Junitag
Zum zwanzigsten Mal jährt sich diesen Sommer die Ermordung zweier erfahrener Stern-Reporter im Kosovo und damit auch der Aufschrei nach größerer Freiheit für Reporter weltweit. Die bestialische Beseitigung von Ján Kuciak und Jamal Khashoggi, die Autobomben auf Daphne Caruana Galizia und die Ereignisse um Charlie Hebdo führen zwangsläufig zu einer Frage - ist das Recht auf freie Meinungsäußerung längst zu einer Gefährdung des eigenen Wohls geworden?
Erst mehrere Stunden später konnte der Leichnam von Volker Krämer in einem Straßengraben geborgen werden. Ein Kopfschuss hatte das Leben des 56-jährigen deutschen Fotografen beendet, der seit fast 30 Jahren für den “Stern“ schon in Kriegsgebieten wie Afghanistan und dem Sudan recherchiert hatte. Nur eine halbe Stunde später dann die nächste traurige Gewissheit – auch sein Kollege Gabriel Grüner erlag auf dem Weg zum Lazarett den Folgen eines Bauchschusses. Hier, wo sich die kurvenreiche Straße durch das Carraleva-Gebirge im zentralen Kosovo windet, zwischen den wuchernden Zypressen und Feigenbäumen, endete im Sommer 1999 das Leben zweier erfahrener Reporter, die bereits gemeinsam aus dem belagerten Sarajevo über die Wirren des Balkans berichtet hatten.
Jenem blutigen Junitag folgte nicht nur in der Hamburger "Stern"-Redaktion ein medialer Aufschrei, die "Bild" echauffierte sich über den "feigen Mord", auch gaben Meldungen über die beiden erschossenen Journalisten den bewaffneten Auseinadersetzungen im Kosovo ein neues Gesicht, nahm die breite Masse der Bundesrepublik nun nicht mehr nur verstörende Bilder verscharrter Massengräber und hilfloser Vertriebener wahr, sondern reihte sich von nun sowohl ein deutscher wie auch ein italienischer Name in die endlose Todesliste sinnloser Gewalt ein.
Eine Ausnahme sind Meldungen über Reporter, die für ihre Berichterstattungen mit dem eigenen Leben bezahlten, keineswegs. Nach den Schüssen im Herzen von Paris auf Charlie Hebdo, jener Autobombe, die das Leben der maltesischen Investigativjournalistin Daphne Caruana Galizia im Oktober 2017 beendete oder den bestialischen Vorgängen gegen Jamel Khashoggi in den saudi-arabischen Botschaftsräumen drängen sich unweigerlich entscheidende Fragen auf - wie gefährlich kann es selbst im 21. Jahrhundert noch sein, die eigene Meinung laut zu äußern? Ist der unabhängige Journalismus gefährdet? Und welchen Preis bezahlen Reporter tagtäglich für die Wahrheit?
Gefoltert, entführt, ermordet - einer der gefährlichsten Berufe weltweit?
Besonders zum Nachdenken regt daher eine Statistik der Unesco an, wonach alle fünf Tage im Schnitt irgendwo auf der Welt ein Journalist aufgrund seiner Tätigkeit ermordet wird. Allein 63 Reporter bezahlten im vergangenen Jahr die Suche nach der großen Story mit ihrem Leben, und dabei beschränken sich jene Todeszahlen nicht nur auf die Einsätze in den Kriegsgebieten am Euphrat oder Hindukusch - eben die Ereignisse der letzten Jahre beweisen doch, wie Reporter selbst im Herzen Europas einer erschreckend wachsenden Skrupellosigkeit ausgesetzt sind und vermehrt Opfer ihres eigenen Berufes werden.
Oktober 2008, Zagreb: Fast schon wie das Drehbuch eines Thrillers liest sich die Ermordung des kroatischen Journalisten Ivo Pukanić, der durch eine ferngezündete Bombe auf dem Parkplatz des Redaktionsgebäudes, wenige Gehminuten von der Zagreber Innenstadt entfernt, in den Tode gerissen wurde.
"Die systematische Hetze gegen Journalistinnen und Journalisten hat dazu geführt, dass Medienschaffende zunehmend in einem Klima der Angst arbeiten"
Reporter ohne Grenzen in ihrem Bericht zur Rangliste der Pressefreiheit 2019
Juli 2010, Athen: Nicht weniger dramatisch auch das Attentat auf den griechischen Enthüllungsjournalisten Sokratis Giolias; durch einen unbekannten Anruf aus seinem Haus gelockt, starb er auf offener Straße im Kugelhagel unbekannter Extremisten.
Januar 2015, Paris: "Ein Schock für Frankreich" seien jene Szenen zu Beginn des neuen Jahres gewesen, betonte der ehemalige französische Staatspräsident François Hollande, während er über jenen grausamen 7. Januar sprach, mit elf erschossenen Personen der Anschlag mit der höchsten Anzahl an Todesopfern in Frankreich seit 53 Jahren. Doch bedeuten die Schüsse in den Redaktionsräumen des Satiremagazins "Charlie Hebdo" viel mehr, verstehen sie sich über die französischen Landesgrenzen hinweg als Angriff auf unsere europäischen Grundrechte; Zeichner und Redakteure erschossen während sie ihrer Arbeit nachgingen - bestraft für ihr Recht, die persönliche Meinung zu Papier zu bringen; Kalaschnikows gegen Bleistifte, religiöser Fanatismus gegen Medienpluralismus.
April 2017, St. Petersburg: Nachdem er bereits aufgrund seiner veröffentlichten Texte über Menschenrechte vor Gericht verurteilt wurde, erreichten seine Gegner dennoch ihr endgültiges Ziel - der 73-Jährige russische Reporter Nikolai Andrushchenko erlag seinen schweren Verletzungen, zu Tode geprügelt von einer Gruppe Unbekannter. Antworten für jenes Verbrechen finden sich allem Anschein nach in seinen kritischen Berichten gegenüber dem russischen Präsidenten Wladimir Putin.
"Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten"
Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
Oktober 2017, Bidnija: Sorgt der kleine Mittelmeer-Inselstaat Malta gewöhnlich nicht für große Schlagzeilen, so widerlegten die Berichterstattungen über jenen verhängnisvollen 16. Oktober schlagartig das Märchen von uneingeschränkter Presse- und Meinungsfreiheit auf europäischem Boden. Eine in ihrem Auto platzierte Bombe beendete Daphne Caruana Galizias Schaffen, jener maltesischen Investigativ-Reporterin, die entschieden über korrupte Eliten in ihrer Heimat berichtete und letzten Endes für die aufgedeckten Skandale mit ihrem Leben zahlen musste. Bis heute halten die Ermittlungen noch an, Drahtzieher und Beteiligte dieses Anschlages durchziehen die maltesische Gesellschaft von kriminellen Banden bis in den Regierungspalast; scheint die Aufklärung ihrer Ermordung letzten Endes auch nur noch das zu bestätigen, worüber Galizia Zeit ihres Lebens berichtet hatte - irgendetwas läuft auf dem Inselstaat hinter den Kulissen ab, unsichtbar für die ahnungslosen Bewohner, zu viele Zufälle auf einmal.
Februar 2018, Veľká Mača: Einer Hinrichtung glich das Bild am ehesten, welches sich den Ermittlern hier in Veľká Mača, etwa 60 Kilometer östlich der slowakischen Hauptstadt Bratislava, eröffnete. In seinem eigenen Haus wurde Ján Kuciak zusammen mit seiner Frau von Unbekannten überrascht und durch Schüsse in Kopf und Brust zum Schweigen gebracht. Kuciak, als investigativer Journalist nicht wenigen Leuten ein Dorn im Auge, entschleierte mit seinen kritischen Recherchen fragwürdige Verbindungen zwischen der kalabrischen Mafia und hohen Regierungskreisen in Bratislava. Wer nun also Gründe gehabt hätte, ihm und seinem Schreiben ein Ende zu setzen? Da wären einerseits die Mitglieder der italienischen 'Ndrangheta-Mafia, die zusammen mit der slowakischen Regierung EU-Subventionen in Millionenhöhe für Agrarflächen beschlagnahmten. Oder doch eher ominöse Geschäftsmänner wie Marián Kočner, dem Kuciak korrupte Geschäfte und Beziehungen bis in die sozialdemokratische Regierungspartei nachwies? Unabhängig davon, dass die anhaltenden Proteste nicht nur Ministerpräsident Robert Fico und Innenminister Kaliňák zum Rücktritt trieben, auch wenn Kočner nun angeklagt wurde - dennoch bleibt das Vertrauen in den Staat irreversibel geschädigt.
"Die Slowakei hat sich seit dem Mord verändert. Nur nicht unbedingt zum Besseren. Leute wie Kuciak haben eine Arbeit gemacht, die eigentlich Analyseteams der Polizei erledigen müssten. Bei uns machen das Journalisten wie er."
Peter Bárdy, Chef des Portals Aktuality.sk, gegenüber dem SPIEGEL
Oktober 2018, Istanbul: Der letzte Fall liegt gerade einmal ein halbes Jahr zurück, wird jedoch aufgrund seiner Brisanz und Brutalität wohl nie in Vergessenheit geraten können. So ungeklärt wie die Fragen, wer letzten Endes für die kaltblütige Ermordung des saudi-arabischen Journalisten Jamal Khashoggi zur Verantwortung gezogen werden muss und ob tatsächlich die Führungsriege um Kronprinz Mohammed bin Salman den Auftrag erteilte, erscheinen auch die vagen Vermutungen über den Verbleib von Khashoggis Leichnam. Was bleibt nach solch einer perfide geplanten Attacke, durch die wiederholt ein regierungskritischer Journalist beseitigt wurde, ist hingegen die Gewissheit, dass sich selbst im 21. Jahrhundert noch in den geschützten Räumen eines Botschaftsgebäudes niemand in Sicherheit wiegen kann - schon gar nicht ein Reporter, der in seiner Heimat mit Berufsverboten belegt und offen angefeindet wurde.
Schweigen ist Gold - nur nicht als Reporter
Umso mehr ist in den bewegten Tagen unserer Gegenwart der Mut gefragt, nicht vor unbequemen Fakten in tiefes Schweigen und Akzeptanz zu verfallen. Wenn der tschechische Präsident Miloš Zeman während seiner Amtseinführung der nationalen Medienlandschaft "Manipulation der Öffentlichkeit" vorwerfen und unbedingt eine Kalaschnikow-Attrappe in die Kamera halten muss - Aufschrift: für die Journalisten - sollte sich keineswegs ein Erfolgserlebnis aus dem Einschüchterungsversuch entwickeln.
Paradebeispiel sind da zum Beispiel aktuell die Österreicher. Hatten die Regierungspolitiker der rechtspopulistischen FPÖ in den letzten Wochen verstärkt die Stimmung gegen Moderator Armin Wolf angeheizt (der ihrer Meinung nach zu kritisch berichtete), so hat sich das Blatt nun gegen Österreichs Populisten gewendet, einer "feuchtfröhlichen Nacht" auf Ibiza, Heinz-Christian Straches "prahlerischem Machogehabe" und dem Mut mehrer Journalisten sei Dank. Letztlich belegen die Aussagen Straches - Stichwort Beeinflussung der "Kronen Zeitung" - exakt jenen Befund, den "Reporter ohne Grenzen" Europa ausgestellt haben: weltweit verschlechterte sich für 2017 die Pressefreiheit in keiner Region so stark wie in der EU!
Verständlicherweise sind Statistiken solchen Charakters besorgniserregend, überraschend sind sie jedoch nicht. Als Fake-News abgestempelte Tatsachen (AfD: Kein Treibhauseffekt!), die Veröffentlichung in Ungarn von Namen unliebsamer Journalisten auf sogenanten "schwarzen Listen" oder Polens neues Mediengesetz, welches mit der Entlassung zahlreicher Medienschaffender spielt, sind mittlerweile eine ebenso stark wahrzunehmende Bedrohung der unabhängigen Medienlandschaft wie all die Autobomben und Schüsse auf Reporter - mit ein und demselben Ziel.
Angepasst, ohne Kritik berichten und Schweigen um jeden Preis, egal mit welchen Mitteln.