Das Cello-Reparier-Projekt
Kaum zu glauben, aber wahr: Hennchen schippert auf einer Hurtigurte 24 Stunden lang nach Tromsö, um ihr kaputtes Cello reparieren zu lassen. Nun ist sie um eine Erfahrung reicher.
Es war schwer sich wieder in den Arbeitsalltag einzuleben. Aber ich hatte ja noch das Projekt Cello-Reparieren vor mir. Das ist wirklich ein ganzes Projekt, wenn ich das Wort so wie die Norweger verwende. Die alles, nur schon allein Kartoffelnschälen, zu einem Projekt zählen. Aber so leicht war meins leider nicht.
Ich legte mich am Mittwoch, nachdem ich mir ein leckeres "Matpakket" mit Käsebroten (mit dem letzten Rest deutschen Käse), natürlich Karotten, Schokolade, Obst und Schokoladenpudding gerichtet hatte, für zwei Stunden schlafen. Um 2.00 Uhr musste ich mich wieder aus meinem gemütlichen Bett quälen und ging hinüber zum Hurtigrutenhafen. Ich bin jedes Mal beeindruckt, wenn ich die großen Schiffe sehe. Ich checkte ein, verstaute mein Cello im Bagasjeraum und ging hinauf in die Panoramalunch, rollte meinen Schlafsack aus und schlief auf dem bequemen Sofa ein. Lange konnte ich nicht schlafen. Es wird ja schon so zeitig hell! Schon um drei Uhr war am Horizont ein heller Streifen zu erkennen, der sich immer höher schob. Um halb sechs wurden die Gläser und leeren Flaschen abgeräumt und um sechs Uhr kam der Staubsauger. Vorbei war die Nacht! Es war aber wesentlich gemütlicher als die Nacht mit meiner Mama, weil ich nicht fror. Aber ruhig geschlafen habe ich auch nicht, weil ich dauernd an mein Cello denken musste, dass da unten ganz alleine im Gepäckraum stand. Aber es wird ja wohl kaum jemand ein kaputtes Cello klauen und dazu noch auf den Hurtigruten, mit denen ja auch nur Menschen fahren, die eine Stange Geld benutzen! (Das Cello war zu groß, um es mit nach oben als Handgepäck zu nehmen! Eben wie üblich!)
Aber ich hatte so Glück, die Sonne schien sich durch die Wolkendecke zu zwängen und ich war mal wieder vollkommen hin und weg. So schön! (Der warme Kaffee in der Thermoskanne und der Schokoladenpudding machte das ganze perfekt!) Ich genoss die vorbeigleitende Winterlandschaft, die eindeutig schön ist, wenn man sie aus der Entfernung betrachtet und nicht verfroren in ihr herumlaufen muss oder die kleinen netten Häuschen sieht, in denen man zum Glück nicht wohnen muss. Ich las weiter meinen Harry Potter und begann meinen zweiten Norwegerhandschuh zu stricken. (Der ist vermutlich fertig, wenn der Sommer kommt.)
Irgendwann schien die Sonne so stark und mein Bauch grummelte so laut, dass ich meinen ganzen Hausrat zusammenraffte und mich aufs Sonnendeck begab. Ich kuschelte mich wieder, trotz verblüfften (oder eifersüchtigen?) Blicken in meinen Schlafsack und legte mich damit auf einen Liegestuhl. So macht man dass, wenn man über dem Polarzirkel braun werden will. (Wenigstens im Gesicht!) Ich konnte in Ruhe meine Brote essen, weil ich mich nicht darum scheren musste, ob irgendjemand in meiner Nähe die Nase rümpft, weil ich deutschen Bergkäse esse. Natürlich saß ich wieder neben Deutschen und mit einem Ehepaar und einer pensionierten Lehrerin, die schon häufiger die Fahrt gemacht hatte, kam ich ins Gespräch. Es war sehr interessant, der Mann meinte, ich solle, wenn ich skrupellose sein kann (bin ich das?) mit einem Wirtschaftsstudium oder einer Ausbildung anfangen, weil ich ja Norwegisch kann und die Lehrerin, die dauernd lachte (hat mich etwas an die Mama erinnert) war eher der Meinung dass ein Musikstudium das schönere wäre und fand das sehr interessant, dass da ein deutsches Mädchen alleine mit ihrem Cello 24 Stunden mit dem Schiff über dem Polarzirkel rumschippert, um ihr Cello sicher bei einem Doktor abzugeben. Was tut man nicht alles für sein Cello! Um 15 Uhr kamen wir dann endlich in Tromsö an, mein Po tat schon richtig weh, vom vielen Sitzen. (Wie kann man elf Tage auf dem Schiff verbringen?) Musste ihn dann aber gleich noch mal quälen, weil ich mit dem Bus weiterfahren musste. Der stoppte auf der Hauptstraße an der Abzweigung zu diesem Dorf. Klasse. Das war genial! Ich hatte keine Ahnung, wo der Geigenbauer wohnt, konnte ihn nicht anrufen, weil meine norwegische Geldkarte leer war und die neue einfach nicht angemeldet wurde, frag mich der Geier, warum; und mein Cello, dass auf dem Rücken drückte. Mein Rucksack und der Foto vorne aufgeschultert lief die Heni allein am Ende der Welt durch weiße Winterlandschaft. ("Klasse Gefühl!"). Kalt war’s dazu auch noch, weil der Fjord an diesem Ort sogar zugefroren war und ganz weit draußen irgendwelche verrückten Norweger saßen, um ihren Angelhaken durch ein Loch im Eis zu halten und andere mit ihrem Motorschlitten auf dem Eis rumfuhren.
Ich habe mich ja schon zwei Mal im Winter verlaufen und wurde jedesmal durch einen netten älteren Herren beim Trampen mitgenommen. Aber das war heute aussichtslos, die schüttelten einfach den Kopf und furhren noch schneller an mit vorbei, dass das geschmolzene Wasser in den Pfützen auf mich spritze! Eine alte Dame, die sich eingewickelt in Felle und mit einer roten Samenmütze auf dem Kopf (wie aus dem Reiseführer) hatte aber leider auch keine Ahnung, wo der Geigenbauer wohnt. Nach langer plagender Wanderung hielt hinter mir ein Auto an und der Fahrer stellte sich als der Geigenbauer raus, der mich dann einstiegen ließ. So ein Glück! Er hat sich den Riss angeschaut, mir erklärt was er jetzt machen wird und wie hübsch teuer das ganze wird.
Da der Bus aus diesem Kaff zurück nach Tromsö fuhr erst zwei Stunden später, also wurde ich danach noch zum Mittagessen eingeladen und ich kramte mein Englisch raus, um mich mit dem russischen Geigenbauer und seiner aus Litauen stammenden Frau, die beide jedoch auch Hebräisch sprechen, unterhalten zu können. Es war sehr interessant und ich weiß, dass ich auf keinen Fall da oben im Norden in einem kleinen Haus im norwegischen Nichts wohnen will! Die Reise hat sich also gelohnt. :-) (Wieder um eine Erfahrung reicher!) Ich stieg bei der Eismeerkathedrale aus dem Bus und lief zu Fuß über die Brücke, um dem jetzt abfahrenden Schiff zuzuwinken und rief ein norwegisches Mädchen an, mit dem ich Internetkontakt habe. Sie studiert in Tromsö, kommt aber auch aus Sortland und war für ein EVS in Deutschland. Wir verbrachten den langen Abend gemeinsam in einem der vielen gemütlichen Cafés und um 0.00 Uhr checkte ich wieder auf den Hurtigruten ein, kuschelte mich in meinen Schlafsack und fuhr ohne mein Cello nach Hause.