Wie mein ganzes Leben in zwei Koffer passt
Was zum Henker packt man ein, wenn man ganze 365 Tage verreist? Wenn man sich zwischen all den Dingen, die man bisher in seinem Leben gesammelt hat, für die Wichtigsten entscheiden muss - was nimmt man dann mit?
Die Antwort: Zwei Koffer, eine Tasche und einen Kopf voller Erinnerungen.
Das Abenteuer "ESK" beginnt für mich momentan in drei Tagen und 14 Stunden. Dann wird alles was ich kenne, jeder den ich mag und der mir ein wenig bedeutet, Stunden entfernt und für mich somit zumindest für einige Zeit unerreichbar sein. Vor einigen Monaten hat mir diese Vorstellung noch Grauen bereitet, wo ich doch noch nicht einmal meine Wäsche ohne Unfälle waschen konnte und meine Kochkünste nicht über Nudeln mit Ketchup hinaus gingen. Jetzt aber stehe ich meinem ungewohnt aufgeräumten Zimmer, alles ist blitzeblank und von dem ganzen üblichen Krimskrams befreit und alles was ich mitnehmen möchte, steht in Koffern und Beutel verpackt vor meinen Füßen. Ich freue mich auf das neue Kapitel, dass ich endlich aufschlagen kann. Wie kann aber das alles sein, was ich von meinem Leben mitnehmen will? Wie können zwei Koffer die vergangenen 18 Jahre an Leben repräsentieren, die ich eigentlich mitnehmen müsste?
Mein Packen begann vor ungefähr einer Woche, in der ich langsam anfing mir Gedanken zu machen, wie zum Teufel ich all meine geliebten Bücher mit nach Prag nehmen sollte. Mein Zimmer besteht quasi nur zur Hälfte aus Regalen, in denen sich an die 400 Bücher tummeln und darauf warten, von einem eifrigen Leser in die Hand genommen zu werden. Natürlich würde ich nur ein Bruchteil von ihnen mitnehmen können, vielleicht auch nur meinen eReader. Damit musste ich schon einmal ein großes Stück meines Herzens hier lassen - aber auch andere Städte haben gute Literatur (man könnte sagen, Prag hat natürlich schon mal Franz Kafka vorzuweisen - aber der hat mich in meiner Schulzeit schon genug gequält!)
Also fing ich mit meinem Kleiderschrank an, der dringend mal wieder eine Generalüberholung notwendig hatte. Alles wurde herausgezogen und geordnet: Tshirts, Pullover, Hemden, Tops, Kleider, Hosen, Röcke, Jacken und Schuhe. Unglaublich, welche Schätze sich manchmal im hintersten Teil des Schrankes versteckt hielten, als hätten sie die vergangenen Jahre in Narnia verbracht und seien nun doch wieder heraus gekommen, um sich mir zu zeigen. Ich ging nach einer einfachen Regel vor: Alles was ich in den letzten 365 Tagen nicht gebraucht hatte, würde hier bleiben müssen - und zudem die Dinge, die mir sowieso nie wirklich gefallen hatten. So fand ich in wenigen Minuten heraus, dass nur ein Bruchteil meiner Shirts noch tragetauglich waren, ich nur einen einzigen Rock besaß, den ich noch nie anhatte und wohl auch nie anhaben werde und ich ungefähr fünf Paar Schuhe besaß, die ich plötzlich als unendlich wichtig betrachtete. Waren das tatsächlich all die Sachen, die ich in den letzten Jahren so begeistert beim Shoppen angehäuft hatte? War das ein Teil meiner Identität, dieser große Wäscheberg aus Baumwolle und synthetischen Leinen? Wie unfassbar seltsam, dass wir durch diese Dinge zeigen, wer wir sind oder wer wir sein wollen - und noch seltsamer, dass sie einen so großen Teil meines Lebens darstellten. Als ich alle Sachen eingepackt hatte, fühlte ich mich bereits reisefertig. Fehlte da nicht noch irgendetwas? War das alles, was mein Leben ausmachte und was ich zum Leben brauchte? Sollte von 18 Jahre Leben nicht noch mehr übrig sein, was ich brauchen würde?
In der Hoffnung, dass das noch nicht alles war, was mein momentanes Leben repräsentierte (die Bücher konnte ich ja leider nicht alle mitnehmen), begann ich also damit all den Krimskrams, die Kabel, die Geräte, die Süßigkeitenpapiere und Schnipsel aus meinem Zimmer zu sammeln, zu sortieren, wegzuschmeißen oder in Kisten zu verpacken, damit sie während meiner Abwesenheit nicht sinnlos verstaubten. All diese Dinge waren Andenken an vergangene Urlaube mit der Familie, an tolle Abende am Strand, Cocktailabende in der Bar und Ausflüge nach Italien mit meinen tollen Freunden - und doch erschien mir keine der Schneekugeln, Sparschweine, Anhänger, Armbänder oder Glasfiguren als wichtig genug, um sie mit in meinen neuen Lebensabschnitt zu nehmen. Sie alle waren zerbrechlich und klein - Spittel, der die Erinnerung an Erlebnisse wach halten sollte, die ich sowieso nie vergessen könnte. Das einzig Wichtige war in meinen Augen das Reisetagebuch, dass ich diesen Sommer angefertigt hatte und ein Fotoalbum mit den wichtigsten Fotos aus meinen Familienurlauben.
Und da war mir klar, dass mein Leben tatsächlich in zwei Koffer und eine Tasche passte - solange ich noch meinen Kopf für all die Erinnerungen dabei hatte, die ich in den letzten 18 Jahren gesammelt habe. Ich mochte zwar Dinge wie Klamotten oder Bücher dafür nutzen, um äußerlich zu zeigen, wer ich war, aber mein wirkliches Leben ließ sich nicht durch Krimskrams aus Tourishops repräsentieren. Natürlich hatten all diese Dinge für mich auch eine Bedeutung, sonst würde ich schon längst in einem vollkommen leeren Zimmer wohnen - aber es war der sentimentale und nicht materielle Wert, an dem ich hing. Alles was ich in meinen neuen Lebensabschnitt also mitnehmen musste, war mich selbst. Ich selbst hatte die Erinnerungen an gute Freunde, eine noch bessere Familie, an eine tolle Schulzeit und einen wunderbaren Sommer danach. Meine Freunde und meine Familie würde mir nicht verloren gehen, ein paar Stunden Autofahrt und ich würde wieder bei ihnen sein. Ebenso wenig würden meine Erinnerungen und die Fotos verschwinden, die ich von allen Erlebnissen aus meinem Leben habe. Bisher hatte ich viel zu sehr an materiellen Dingen gehangen, von denen ich gehofft hatte, sie würden mein Leben sein.
"Das kann doch nicht mein Leben sein", habe ich mit Blick auf meine Koffer gedacht. Aber doch, das kann es! Das Leben besteht nicht aus leblosen Symbolen, Kleidung und Büchern. Das Leben besteht aus Erinnerungen, Erlebnissen und lebendigen Menschen.
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