Türkische Minderheiten - Die Christen
Wie kommt es dazu, dass ein Land völlig mit seiner alten, christlichen Religion bricht? Ein Beitrag zur brisanten Debatte der Minderheitenrechte in der Türkei
Ein Sirren liegt in der Luft, blutrote Mohnblüten wiegen sich in der Luft, neigen sich den alten Gemäuern zu. Die Natur hat diesen Ort vollkommen erobert: Eidechsen sonnen sich auf den Dächern, Vögel nisten in den Ritzen, wilde Katzen besetzen die Mauern – Und doch die Struktur einer Kirche, der Marienkirche von Ephesus, einer der ältesten Kirchen des Christentums.
Bereits kurz nach dem Tod Christi gründeten sich die ersten Gemeinden auf dem Gebiet der heutigen Türkei. Die gesamte Westküste ist bestückt mit einzigartigen historischen Plätzen, hier liegt die Wiege unserer heutigen Kultur und Religion, sie ist der Geburtsort unzähliger Kirchenväter und Heiliger (Wovon der wohl wahrscheinlich bekannteste der Heilige Sankt Nikolaus war). Und doch ist uns die Türkei nicht als christlich geprägtes Kulturland bekannt, was sich durch einen gewaltsamen Einigungsprozess begründet...
„Bevölkerungsaustausch“ – Ein Euphemismus für die brutale Vertreibung von Menschen anderer Religionen, der 1923 nach dem türkisch-griechischen Krieg im Vertrag von Lausanne vereinbart wurde. Im Zuge dessen wurden dann die türkischen Christen, die ohnehin durch den Genozid an den Armeniern während des ersten Weltkrieges stark dezimiert war, entwurzelt und nach Griechenland emigriert, und genauso wurden auch griechische Muslime in die Türkei deportiert. Heute erinnern daran noch Geisterstädte wie Kayaköy in der Nähe von Fethiye: Verlassene Häuser, die sich noch gegen den Verfall und das Vergessen stemmen.
Nach der Gründung der Republik 1923 war die so Türkei zu 99 % muslimisch – Ein politisches Kalkül: Dieser ehemalige Vielvölkerstaat benötigt einen gesellschaftlichen Kitt, und findet dieser in der Religion. Der Staatsgründer Atatürk formulierte deshalb das Dogma einer „unteilbaren türkischen Nation“, welches das türkische Volk vereint, aber gleichzeitig auch alle Unterschiede negiert. Ein bisschen schwingt darin auch die Hoffnung mit, künftige Konflikte vorzubeugen, doch dieses Kalkül ging nicht auf: Gerade wegen der mangelnden Anerkennung wachsen Widerstand und separatistische Bewegungen.
Noch heute lässt sich die diese restriktive Minderheiten-Politik spüren: War 1914 noch jeder zweite Bürger Istanbuls Christ, sind es heute noch circa 110.000 in der ganzen Türkei, und diese erfahren viele Einschränkungen in ihrer Religionsausübung. Die Ausbildungsstätte für die griechisch-orthodoxen Priester sind seit Jahrzehnten geschlossen, und die Zukunft des Patriarchats ist damit ungewiss. So wird jeder nicht-muslimischen Glaubensgemeinschaft der rechtliche Status als „Kirche“ verwehrt, in Folge dessen sich auch keine Gemeinden bilden können, es ihnen erschwert wird, Immobilien zu erwerben und ihre Gebetshäuser privat bleiben.
„Religionsfreiheit existiert in der Türkei allenfalls auf dem Papier.“ So äußert sich der Botschafter des Vatikans in Ankara zu der aktuellen türkischen Rechtslage. Christen seien beispielsweise auch in der Berufswahl, gerade im öffentlichen Dienst und Militär, stark diskriminiert, konstatiert die Menschenrechtskommission Missio in Aachen: Sie hätten kaum Chancen sich zu bewerben oder eine Karriere zu verfolgen. Straßenzüge zu christlichen Festen sind verboten, christlichen Radiosendern werden keine Lizenzen vergeben und der islamische Religionsunterricht ist verpflichtet….
Die multireligiöse Situation der Türkei ist konfliktgeladen: In den letzten Jahren ereigneten sich einige Attentate auf Geistliche von islamistischen Nationalisten. Hitzig werden auch Diskriminierungen und anti-islamische Aktionen im Ausland verfolgt – Kann sich so die Türkei überhaupt an Europa annähern?
Der Minderheiten-Schutz ist bislang noch eine der größten ungeklärten Fragen in den Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union, weil er auch als Indikator für Demokratie zu verstehen ist. Zukünftige Integrationsprozesse werden global eine große Herausforderung im 21.Jahrundert darstellen, wobei die Achtung von Minderheiten eine aktive Zivilgesellschaft erfordert.
Ausführlicher Länderbericht zum Thema vom Missio (missio-hilft.de)
Weitere Artikel... : http://www.spiegel.de/politik/ausland/christen-in-der-tuerkei-hass-auf-die-kleine-herde-a-478091-2.html
http://www.welt.de/politik/ausland/article5436121/Das-schwere-Los-der-Christen-im-Islam.html