Schlaflos in Kryoneri
Ob es sinnvoller ist, während eines Europäischen Freiwilligendienstes so viel wie möglich zu reisen, oder mehr im Wohnort zu bleiben, um den Alltag kennen zu lernen, ist die große Frage. Emily wählt den Mittelweg.
So, nun habe ich für meine Verhältnisse schon sehr lange nicht mehr geschrieben und ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Seit meinem ersten Wochenende in Kryoneri habe ich auch alle weiteren hier verbracht und bin noch nicht weiter gereist. Da gibt es so unterschiedliche Auffassungen unter uns Freiwilligen (und vor allem mit Marina gab es da die eine oder andere Debatte drüber), ob man viel reisen oder eher sich auf sein Leben zu Hause konzentrieren sollte. Ich bin ja am Anfang meines Europäischen Freiwilligendienstes eigentlich nur gereist, und war den ersten Monat nur unterwegs. Dadurch habe ich sehr viel gesehen und will auch unbedingt noch mehr sehen, aber es war erstmal an der Zeit, das Dorfleben in Kryoneri kennen zu lernen und ich habe das Gefühl, dass es mir sehr geholfen hat, mich mehr zu integrieren. Ich fühle mich hier zu Hause und nach zwei Monaten pendelt sich so langsam ein Alltag ein. Viele Dinge, über die man sich anfangs noch gewundert hat, sind normal geworden. Nur der Sonnenaufgang, den ich jeden Morgen über dem Golf von Korinth mit Bergen im Hintergrund und Nebelfeldern in den Täler vor mir bewundern kann, lässt mich immer noch sprachlos werden. Also versuche ich nun, einen Mittelweg zwischen zu Hause bleiben und trotzdem ab und zu durch Griechenland reisen zu finden.
Letzten Freitag waren Philip und ich mit Alexis in Athen. Dort habe ich erstmal lebenswichtige Einkäufe erledigt (Winterjacke!) und später haben wir Alexis in Piräus, dem Hafenstadtteil von Athen getroffen. Piräus ist eigentlich eher eine Stadt für sich – und während ich von Athen (abgesehen vom National Garden) nie sonderlich überwältigt war, ist Piräus wirklich traumhaft. Das liegt sicherlich auch daran, dass Alexis, der in Piräus aufgewachsen ist, uns schöne Ecken zeigen konnte. So waren wir in einer kleinen Taverne Abendessen, in der es nur Shrimps gibt (und natürlich Brot und griechischen Salat, ohne das geht hier sowieso nichts) und wozu, na klar, Ouzo getrunken wird. Aber bevor man sich bei dem Gedanken jetzt schüttelt – Ouzo wird hier ja anders getrunken als in Deutschland. Und die griechische Art und Weise sagt mir mehr zu: ganz langsam und mit Eiswürfeln und Wasser verdünnt. Danach waren wir noch in einem stylischen Café Cappuccino trinken, mit Blick auf den Hafen – sehr gemütlich!
An dem selben Wochenende waren wir außerdem zum Essen eingeladen bei Freunden, die alle den Großteil ihres Lebens in Deutschland verbracht haben und vor einiger Zeit hier nach Korinthia gezogen sind. Da haben wir einen sehr amüsanten Tag verbracht mit fantastischem Essen und stundenlangen Charade-Spielen. Einer von ihnen, Ingo, verdient seinen Lebensunterhalt, indem mit einem Bauchladen in Korinth rumläuft und Bratwürste verkauft. Eigentlich hatte er ja vor, nach dem Abi Psychologie zu studieren, hat sich dann aber doch für die Bratwürste entschieden – sehr lustiger Typ.
Gestern hatte Verena (enli) aus Korinth Geburtstag und ich bin Mittwochabend runter gefahren, um mit reinzufeiern. War sehr lustig und tat mir vor allem sehr gut, mal meine lieben Leute da wieder zu sehen. Das hieß allerdings auch, dass ich die Nacht durchmachen musste, um am nächsten Morgen wieder rechtzeitig in Kryoneri zu sein.
Und dann hatten wir am Donnerstag auch noch (ENDLICH) unsere Workshops in der Schule. Hatte mich schon so lange darauf gefreut, weil mein Vorschlag mit den Kindern Pantomime zu machen endlich umgesetzt wurde. Da sollten wir dann aber auch gleich drei Stunden hintereinander volles Programm abziehen! Ich war erstaunlich wach und offensichtlich haben sich die Kinder von Marinas und meiner Energie anstecken lassen. Es hat allen so viel Spaß gemacht! Am schönsten war es in der ersten und zweiten Klasse.
Als die Lehrerin am Schluss meinte, dass die Kinder sich bei uns bedanken dürfen, kam auf einmal eine Horde von Kindern auf uns zugestürmt und hat uns umarmt und Küsse auf die Wange gedrückt. Heute hatten wir noch mal drei Stunden Workshops und jetzt ist es vorbei mit der Energie... :) Aber es ist immer wieder unglaublich, zu sehen, wie dankbar die Kinder sind, wenn man ihnen ein bisschen Aufmerksamkeit schenkt. Seitdem sind die Kleinen auch noch mal viel zutraulicher geworden und im Bus entsteht ein Riesenstreit darum, wer neben mir sitzen darf.
Mit den älteren Jugendlichen verbringe ich Zeit am Wochenende, wenn wir bei Alexis sind, mit Fahrrad fahren, oder – wie vorletztes Wochenende – damit, mit Alexis’ altem Jeep über die Motocross-Strecke für Motorräder zu fahren. Ja ja, könnt Ihr mal sehen, was ich hier so alles ausprobiere – war mal was anderes und hat Spaß gemacht. Mittlerweile verstehe ich auch so langsam, mit was für Kindern ich zu tun habe. Von meinen fünf Jungs, mit denen ich am Wochenende was mache, war erst einer einmal in Athen (eineinhalb Stunden von hier) und im Ausland natürlich noch keiner. Während der Erntezeit werden die Jungs von den Eltern aus der Schule genommen, um auf dem Feld zu helfen. Dementsprechend sind die schulischen Leistungen von einigen, aber die Lösung der Eltern ist, sie dann ganz aus der Schule zu nehmen, damit sie Bauer werden. Teilweise machte es einen ganz wütend, vor allem wenn man sieht, dass die Kinder lernen wollen. Toll finde ich, dass sie jetzt Deutsch lernen möchten und vielleicht fangen wir demnächst mit Deutschunterricht an. Außerdem wollen Alexis und ich bald mal mit ein paar von ihnen ins Kino, das haben sie nämlich auch noch nie gemacht.
Morgen hat die Tochter von meinem Boss Geburtstag und ich wurde gefragt, ob ich Lust hätte, den Entertainer zu spielen. Na und wie! Das ist wieder eine neue Herausforderung, weil es gar nicht so einfach ist, auf Griechisch Spiele zu erklären! Ich merke zwar, dass ich mehr verstehe, aber das Sprechen ist immer noch ganz schön schwer und oft fehlen mir ganz viele Vokabeln. Also warte ich regelrecht auf solche Situationen, wo ich auf mich gestellt bin und mich verständigen muss. Noch dazu kommen fast alle Kinder aus dem Dorf und ich kann mich noch beliebter machen… :)
Meine spanische Mitbewohnerin hört heute mit ihrem Projekt auf und ist gerade nach Athen gefahren. Ich bin ein bisschen traurig, denn wir hatten auch Momente, in denen wir viel gelacht haben, aber die waren ehrlich gesagt die Minderheit. Die meiste Zeit hatte ich das Gefühl, dass wir wie auf Glasscherben laufen, weil wir einfach so verschieden sind. So richtig warm sind wir nie miteinander geworden, aber manchmal werde ich sie bestimmt trotzdem vermissen. Im Gegensatz zu dem Mitbewohner, der mir bleibt, Philip, versprüht Marina wenigstens etwas Energie. Mit Philip verstehe ich mich besser und nach so einigen Uneinigkeiten über die Verteilung der Aufgaben im Haushalt, hoffe ich, dass sich das mit unserem neuen Haushaltsplan (ja ja, wie deutsch!) nun ändert. Ich habe aufgehört mich darüber zu ärgern, dass er jeden Tag erst nachmittags aufsteht und habe ihm aber auch klar gemacht, dass ich nicht sein persönlicher Wecker bin und obwohl es mir immer noch manchmal auf den Geist geht, ignoriere ich es so weit wie möglich. So lange die Arbeit nicht nur an mir hängen bleibet – von mir aus.
Ich werde mich jetzt auf den Weg machen und ein bisschen was zu essen kaufen (habe schon zwei Kilo zugenommen).
Ach so, um Euch noch zu ärgern: Das Wetter ist eigentlich fantastisch. Nachts wird es zwar ganz schön kalt und hier oben hatten wir sogar schon Minusgrade, aber jeden Tag scheint die Sonne – nichts von wegen grauer November! Und oft kann man in der Sonne auch noch im T-Shirt rumlaufen. Hahaha!