Norwegen #2 - Prolog
nach vier Jahren kann ich sagen, dass wir uns lange nicht mehr gesehen haben... von guten Freunden aus Norwegen
Es war vor drei Jahren oder vier. Ich weiß es nicht mehr genau. Aber es war Winter. Da kamen Synne, Mats und Wiliam aus Norwegen nach Deutschland, um Merle zu besuchen. Als wir uns zum ersten Mal getroffen haben, da holten sie mich vom Bahnhof ab und kutschierten mich zu Merle nach Hause – in einem alten, bunten Krankenwagen mit einem blauen Kennzeichen, auf dem der Dreck von 2.500 Kilometern Straße klebte. Dieser alte Mercedes-Ambulanzwagen war damals ihr Zuhause und weil wir uns alle so gut verstanden haben, über Musik und all solche Dinge, über die man bei Wein und Bier und Kerzenschein bei Merle zu Hause (fast im Wald wohnte sie damals) diskutieren kann, ja weil über soviel Geschmack Einstimmigkeit herrschte, war diese Bekanntschaft etwas, das man als gutes Beispiel einer glücklichen Fügung des Zufalls ob des Kennenlernens toller Menschen betrachten kann. Herzlichen Glückwunsch, liebes Leben.
Ein paar Wochen, nachdem sie Merle besucht haben, kamen sie auf Visite nach Hamburg. Und Besuch ist bekanntlich was ganz Feines und wenn um 20 Uhr die Klingel tröttet und die Tür aufschlägt und leichter Durchzug das Haus durchlüftet, bis die Tür mit langem Echo zuschlägt und dann die Schritte auf der Treppe...diese Schritte wie eine befriedigende Erwartung, ja diese Schritte und das Stimmengemurmel in fremden Sprachen und ein Herzsprung in meiner Brust. Das ist Leben.
Synne, Mats und William aus Norwegen blieben nur einen Tag und ein paar mehr Freunde waren auch noch da und meine Wohnung ist schon klein, aber die Luft reicht für alle und Synne freute sich, mich zu sehen und staunte darüber, dass nicht alle Deutschen ordentlich sind. Und William hatte diesen Blick, diese Art von Blick als würde sein Gesicht vor Freude in die Luft springen - so lebhaft und neugierig und dann kicherte er immer.
Wir zogen durch die Stadt. Nachts gingen wir los und durchstöberten die Kneipen auf den Hinterhöfen vom Kiez. Nicht Reeperbahn, ein bisschen Hamburger Berg. Aber dann die vielen Kneipen dahinter, wo die harten Jungs seit 11 Uhr Bier morgens aus vernebelten Gläsern tranken. Und die Nacht verschwand und der Morgen kam, wir waren besoffen, noch nicht zu Hause, noch nicht aus den Straßen verschwunden. Wie Ratten zogen wir weiter. Ben war eine Weile weg und als er wieder da war, sagte er, er habe ein Klo mit Comics für Leute über 18 gefunden.
Mads erzählte was Voschpje und Nachspje (ich glaube, so verstand ich es damals) ist. Voschpje klingt komisch, schreibt sich aber total bekannt: Vorspiel und Nachspiel. Ehrlich? Ja. In Norwegen ist Vorspiel, wenn man sich mit einer Hand voll Freunden bei jemanden trifft und die ersten Biere trinkt um dann geschlossen zu einer noch größeren Runde aufzubrechen. Ungefähr was man hier bei uns Vorglühen nennt. Nachspiel ist der Zustand einer Party, wenn alle so fertig sind, dass man weiß, sie ist zu Ende.
Als ich ihm erklärte, was wir unter Vorspiel verstehen, fand er das auch geil.
Am nächsten Tag frühstückten wir um 15 Uhr. Und machten nichts. Das Haus verwebte sich mit dem Geruch von Besuch. Für einen Tag riecht die Wohnung anders. Mats meinte, das Badezimmer rieche nach Griechenland. Mein Klo ist eben mein Olymp.
Dann gingen sie wieder. Zogen weiter um die Welt in ihrem alten Krankenwagen. Seit einem Monat waren sie unterwegs. Von Sortland über Schweden, Dänemark nach Deutschland, später Amsterdam, Paris, Barcelona, vielleicht Marroko, viellecht Italien, vielleicht das Baltikum. Geld verdienten sie mit Straßenmusik. 13 Jahre Musikschule müssen sich lohnen. Sie spielten Jazz.
William sagte, dass Gute am Herumreisen sei das Duschen irgendwo. Man mache sich eigentlich nur dreckig, weil frisch gewaschene Haare sich so toll anfühlen.
Vielleicht werden sie mal wiederkommen. Vielleicht auch nicht und am Ende bleibt das Echo der Schritte auf dem Hausflur, das Echo der Tür, die ins Schloss fällt und der leichte Geruch von Besuch und das Gefühl, sie schon ein ganzes Leben lang zu kennen. Als ob man sich jede Woche zum Vorspiel und Nachspiel trifft.
Das war vor drei Jahren. Oder vier. Ich werde diese Tage wohl nie vergessen. Das waren so unglaublich nette Leute. Und selbst wenn ich mein Gedächtnis einmal irgendwann verlieren sollte, werde ich mich an diese Tage erinnern. Die bleiben für immer im Kopf, so wie ein Tattoo auf der Haut niemals verschwindet.
Jetzt, im Dezember 2011 liegt in weiten Teilen Schwedens schon ein bisschen Schnee, klimpern Weihnachtslieder überall, durchlüften Keksgerüche die Küchen dieser Stadt.
Ich komme gerade vom Bahnhof. Das Ticket in der Hand ist noch warm, mein Atem dampft - so frisch ist es draußen. Stockholm – Narvik steht darauf. Wieder nach Norwegen - diesmal hoch in den Norden. 21 Stunden Nachtzug. Dann noch einmal 3 Stunden Bus bis Sortland. Irgendwo auf den Lofoten / Västerålen.
Mein Gegenbesuch hat lange auf sich warten lassen. Nach 3 oder 4 Jahren wird es bald endlich soweit sein. Denn jedes Vorspiel wird ein Nachspiel haben.