La Revedere Romania
Deutsche Flohmärkte, Moskitoattacken und Abschied
9 besuchte Länder, 8 Projektmonate, 7 Mitbewohner, 6 einsame Socken, 5 gelungene Kochversuche, 4 Besuche in Cluj, 3 Fahrten mit meinem (später geklauten) Rennrad, 2 Familienbesuche, 1 Florian - so in etwa könnte man meinen Freiwilligendienst in Zahlen beschreiben, würde damit aber natürlich in keinster Weise den vergangenen 9 tollen Monaten gerecht werden. Vor etwa 11 Monaten hatte ich ein Skypegespräch mit einem Rumänen über ein Freiwilligenprojekt in einer kleinen Stadt im Norden Rumäniens. Zuerst etwas skeptisch, war ich schnell euphorisch - das Projekt sagte mir zu, nur Rumänien sagte mir gar nichts. Mein Wissen über dieses Land im Osten Europas beschränkte sich leider auf den Namen der Hauptstadt. Das einzige was eine Googlerecherche über die Projektstadt ergab war ein früherer Chemieunfall - beruhigend. Doch trotz allem musste ich nicht wirklich lange überlegen und meine Vorfreude auf das 8 Monate Abenteuer war grenzenlos. Natürlich wusste auch ich über die Vorurteile vieler Deutschen gegen dieses Land: Hohe Kriminalität, Armut, Zigeuner etc. Zu folgenden Punkten kann ich nur sagen: Ich laufe nachts lieber durch Baia Mare als durch Heilbronn im ach so sicheren Deutschland. Die Menschen mögen ärmer sein, erscheinen mir aber trotzdem glücklicher als die meisten Deutschen. Und nein, nicht alle Rumänen sind Zigeuner. Den Konflikt zwischen den beiden hätte ich gerne besser verstanden, aber da Sinti und Roma nicht Teil meines Projekts waren, war es relativ schwierig sich ein umfangreiches Bild von der Situation zu machen. Ich bin mir sicher, wenn Menschen von meinem Freiwilligendienst hören, wird oft gefragt werden: Rumänien? Was will man denn da? Zugegeben- vor nicht allzu langer Zeit hätte meine Reaktion nicht anders ausgesehen. Doch all diesen Menschen kann ich nur sagen: Macht euch selbst ein Bild. Besucht das Land, seht die tollen Städte und Landschaften und trefft diese unglaublichen Menschen. Ich kenne keinen (!) Freiwilligen, dem das Land nicht gefallen hat (an dem Wetter könnte man noch etwas arbeiten).
Mein Projekt ist jetzt seit über 3 Wochen zuende, gefolgt von einer dreiwöchigen Rundreise durch Kroatien, Bosnien und Rumänien mit zwei Freunden. Aber der Reihe nach: Die letzten Projekttage in Baia Mare vergingen wie im Flug. Im Kindergarten durfte ich zum Abschluss noch mal alle Kinder durch die Gegend tragen- ich suche derzeit fieberhaft nach einem Arzt, der mir eine Rückentransplantation verschaffen kann- bei Interesse bitte melden. Für meine Streitschlichtertätigkeiten müsste ich eigentlich für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen werden, aber ich warte derzeit noch auf einen Anruf des Komitees. Am letzten Tag machte ich mir aber kurz Sorgen um die rumänische Zukunft, als die Jungs fröhlich grinsend anfingen, sich mit rosa Plastikbürsten die Haare zu kämmen und dabei von den Mädchen kritisch beäugt wurden. Auch in der Schule durfte ich noch mal Deutsch unterrichten bzw. Selbstgespräche führen, da ich auf Fragen meinerseits gewohnterweise geradezu mit Antworten bombardiert wurde. Und dann war der Tag gekommen- nach 8 Monaten hieß es Abschied nehmen von den meisten anderen Freiwilligen und all den Menschen, die in meinem Projekt involviert werden. Vor allem die Kinder im Kindergarten werde ich da vermissen, sie waren angemessen traurig, als ich ging. Und am 5. Juni startete ich dann diese Mammutreise. Es gibt ja dieses Sprichwort: "Übung macht den Meister". Ich finde der Erfinder dieser Aussage hat noch nie Koffer gepackt. Das wird nie leichter. Nie. Nie. Nie. Ich starete das Packen zur Sicherheit 48 Stunden vor meiner Abreise und bin mir sicher, wenn mein Vater zuhause meine Packkünste bestaunen wird, wird er ziemlich sicher an einem Herzinfarkt sterben- schade so kurz nach meiner Ankunft, weshalb ich versuchen werde, ihn von den Koffern fernzuhalten.
Nach einer 24h Anreise (alles unter 20h ist für mich keine Reise mehr, sondern ein Ausflug) mit rumänischen Schnellzügen und einem Bus erreichten wir Dubrovnik. Nach 8 Monaten Rumänien erst mal Schockstarre angesichts der Preise, obwohl wir vorgewarnt waren. Die Stadt selbst mit ihrer komplett erhaltenen Stadtmauer ist wunderschön, aber eben auch wahnsinnig touristisch. Auch die Hitze war extrem, ich fühlte mich wie ein Grillhühnchen. Nach 3 Tagen im Paradies - Dubrovnik mutet zum Teil wirklich so an, ging es weiter nach Split. Wir erfuhren auch, dass man in Kroatien dafür bezahlen muss, den Busbahnhof benutzen zu können- Spinner! Split mit seiner wunderschönen Promenade ist ebenfalls einen Ausflug wert, nur der noch erhaltene Teil des dortigen Palastes, verwirrte mich etwas: Aneinandergereihte leere Kellerräume ohne Erklärungen- ich werde in Deutschland jetzt ebenfalls Führungen in unserem Keller anbieten- 2 Euro Eintritt. Kroatien mutete für mich zum Teil an wie eine Mischung aus Italien und Griechenland- in letzterem war ich zwar noch nie, aber das tut ja nichts zur Sache. Am Meer entlang ging es Bosnien- der Kontrast könnte größer nicht sein. Während Kroatien einfach nur ein touristisches Sommerparadies zu sein scheint, spürt man im Nachbarland immer noch die Nachwirkungen des Krieges im ehemaligen Jugoslawien. Man fühlt sich keineswegs unsicher, aber weder in Serbien noch in Kroatien hatte man überhaupt etwas davon gehört. Sowohl Mostar als auch Sarajevo sieht man diese Nachwirkungen aber auch an: Hohe Arbeitslosigkeit, zerstörte Häuser und Straßen, Projektile neben Kinderspielplätzen, Ruinen in dennen Familien wohnen und trotz allem sind die Menschen unfassbar gastfreundlich. Ebenfalls interessant war der Besuch eines Kriegsmuseums in Sarajevo- die dortigen Geschichten und Bilder werde ich wohl so schnell nicht vergessen. Natürlich hörten wir auf diese Weise nur eine Seite der Geschichte, es ist aber trotzdem erschreckend wie wenig ich trotz Abitur über diesen Konflikt weiß. Auch Bosnien kann aber mit tollen Landschaften aufwarten und Temperaturen jenseits von Gut und Böse (mein Vater pflegt da zu sagen: Ich schwitze wie ein Schwein, was er dann in fröhlicher Regelmäßigkeit wiederholt). Zusammengefasst kann ich sagen, dass beide Länder einen Besuch wert sind!
Zum Abschluss erfolgte dann per Anhalter eine einwöchige Tour durch Rumänien - 1500 km per Anhalter in 6 Tagen zehren da schon an den Kraftreserven. Bei diesen Fahrten kann man aber immer wieder die atemberaubenden Landschaften bestaunen: Steppenartige Abschnitte, die sich mit unzähligen Hügeln abwechseln, die sich wellenartig über Kilometer erstrecken. Unsere Tour führte uns bis ans schwarze Meer und das Donaudelta. Die Gespräche mit den rumänischen Auto-und Lkw-Fahrern drehen sich da um ganz natürliche Dinge: Entführungsszenarien, Züge und deutsche Flohmärkte sind da nur einige wenige Beispiele. Beim Couchsurfing aber eben auch beim Trampen wird man immer wieder überrascht von der rumänischen Herzlichkeit- da machen Fahrer einen halbstündigen Umweg, ohne dass man danach fragt, man wird mit Bier, Popcorn und rumänischen Schnaps bedient und bekocht ohne eine Gegenleistung zu erwarten und ein Couchsurfer lieh uns sogar sein Auto! (Fazit: Ich kann noch fahren). Das Donaudelta ist leider viel zu untouristisch, wir hatten dort leider nur einen Tag und die Zeit reichte so nur für eine kleine Bootstour, aber es hätte mit Sicherheit mehr Aufmerksamkeit verdient! Der einzige Nachteil waren die 17849 Moskitos in Tulcea, auf deren Speisekarte große, braunhaarige, deutsche Touristen stehen, die sie dann in laufende Moskitostiche verwandeln- aber lasst euch nicht abschrecken. Zum Abschluss der Reise besuchten wir das Musikfestival Electric Castle (es wird elektrische Musik auf einer Burg gespielt, wer hätte das gedacht) in Cluj- man sollte das aber umbenennen in "Erstes rumänisches Schlammfestival"-zwei Tage Dauerregen verwandelten das gesamte Gelände in eine gigantische Schlammpfütze. Der Mann im Gummistiefelladen machte den Umsatz seines Lebens, ihm sei es gegönnt.
Seit gestern Abend bin ich wieder im beschaulichen Baia Mare und heute Nacht endet dann mein Rumänienabenteuer. Ich kann mit Worten gar nicht ausdrücken, wie sehr ich diese Zeit vermissen werde (ich sollte vermutlich kein Autor werden) und was genau mir fehlen wird: Vielleicht die grauen Blockbauten, die irgendwie dazugehören. Die Fahrten per Anhalter. Die anderen Freiwilligen. Die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen. Die rumänische Herzlichkeit und Freundlichkeit. Die Unbeschwertheit beim Laufen durch die Stadt ohne Stress und Hektik. Das Reisen. Die Leichtigkeit und Unbesorgnis, die man als Freiwilliger verspürt, weit weg von Studien-oder Berufsprobleme, das alles ist da so weit weg. Aber all diese aufgezählten Dinge sind nur Bruchstücke, und ich könnte noch stundenlang weiter aufzählen (aber ich fliege ja bald). Ein paar Fragen aber bleiben offen: Warum gibt es hier so viele Apotheken (man munkelt in Baia Mare mehr als Einwohner). Warum sind mir die ganzen Zahnarztpraxen erst heute aufgefallen? Wohin sind die Einwohner Baia Mares im Winter geflüchtet? Wer hat mein Fahrrad geklaut? Wo sind die anderen Socken? Aber so ist das Leben- manche Dinge bleiben ungelöst. Bevor ich jetzt wieder melancholisch werde, beende ich diesen letzten Blogeintrag hier. Danke an alle die mal reingelesen haben, hoffe ihr habt jetzt ein besseres Bild von diesem tollen Land. Und jetzt heißt es : La Revedere (Auf Wiedersehen). Ich komme wieder.
PS: Staubsaugerspenden brauchen wir nicht mehr. Unsere Wohnung wurde gekündigt.
PPS: Ja, es ist aufgeflogen, dass das Fahrrad geklaut wurde.
PPPS: Zum Ende mein neuer Lieblingswitz (ein bisschen traurig, ich weiß). Wie nennt man ein helles Mammut? Richtig. Helmut (Jetzt müsst ihr lachen).